Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Saat der Bestie (German Edition)

Die Saat der Bestie (German Edition)

Titel: Die Saat der Bestie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
Vom Netzwerk:
blickt er ernst in die Kamera, doch Darleen meinte damals, sie würde schon dafür sorgen, dass er auf dem Foto für seine Urkunde kein mürrisches Gesicht macht.
    Er mag das Bild, hat es immer gemocht, weil es ihn daran erinnert, wie glücklich er einmal gewesen ist. Es erinnert ihn daran, was er einmal besessen hat, ohne es richtig wahrzunehmen.
    Den Angelwettbewerb gibt es natürlich nicht mehr, auch Darleen ist nicht mehr da und Davids Lachen ist ebenfalls verschwunden. Heute hat er zudem Sam verloren.
    Er setzt sich in einen Sessel, greift nach dem Rest des Weines, der vom Abend noch übrig ist, und leert die Flasche in einem Zug. Warum ist sie bloß gegangen? Was hat er falsch gemacht? Die Fragen stürmen auf ihn ein, als wäre er wieder jung.
    Damals, auf der High School, hat er über jede Geste und jedes Wort eines Mädchens nachgedacht. Er hatte sich in seinen Gedanken verlaufen und immer und immer wieder gefragt, was jener Blick oder jenes Augenzwinkern zu bedeuten hatte. Er war besessen von solchen Gedanken und hatte Jahre gebraucht, um sich von dieser Neurose endlich zu befreien.
    Doch jetzt, mit dem bitteren Geschmack des Weines im Mund und Sams Geruch in der Nase, kehren diese erdrückenden Gedanken plötzlich zu ihm zurück, als hätten sie ihn nie verlassen.
    Er schließt die Augen und geht jedes Wort und jede Bewegung des vergangenen Tages noch einmal durch. Wo war der Fehler gewesen? An welcher Stelle hatte er etwas Falsches gesagt? Wo hatte er – wieder einmal – versagt?
    Die Bilder von Sam pulsieren im Takt von Youngs Musik in seinem Kopf. Er presst die Fäuste gegen die Schläfen, als wolle er seinen Schädel zerquetschen. Was habe ich falsch gemacht?
    Als sich der Wirbel aus Bildfetzen und Musik in lichtlosen Nebel verwandelt, steht David auf, wankt zur Anlage und schaltet sie aus. Augenblicklich ist es so still wie in einer Gruft. Youngs Echo hallt noch einige Augenblicke durch Davids Kopf. Dann ist er alleine.
    Er bleibt einige Minuten vor der Anlage stehen. Der Sturm der Bilder und Erinnerungen in seinem Kopf beruhigt sich allmählich, auch sein Herzschlag wird ruhiger, die Hände hören auf zu zittern. Doch die Schmerzen in seinem Kopf bleiben.
    Er denkt an den Pier und daran, dass er am Tag zuvor mit Sam dort gesessen hat. Die Geschichte von Bud und Maria kommt ihm wieder in den Sinn. Er kann sogar Sams Stimme in seinen Gedanken hören und vor seinen Augen sieht er das reflektierende Sonnenlicht auf der Klinge des Messers.
    Er beschließt, zum Pier zu gehen und zu warten, bis Sam zurückkommt.

    ***

    Als sie zu sich kommt, hat sie das Gefühl zu fallen. Sie dreht sich auf der Stelle, soweit es die Fesseln zulassen. Durch ihre Arme rinnt flüssiges Feuer und verzehrt ihr schreiendes Fleisch.
    Mit ihren nackten Füßen spürt sie, dass die Pfütze unter ihr größer geworden ist. Etwas rinnt feucht an den Innenseiten ihrer Schenkel hinab.
    Augenblicklich steigt ihr der saure Gestank von Urin und Erbrochenem in die Nase. Der Geschmack in ihrem Mund widert sie an, als hätte sie vergammeltes Fleisch in ihrer Kehle stecken. Sie versucht auszuspucken, doch ihr Mund ist zu trocken. Als sie die Lippen zusammenpresst, bleiben sie aneinander kleben. Die Haut ist rau und aufgesprungen, ihr Gaumen fühlt sich an, als bestünde er aus faserigem Stoff.
    Mit einem tiefen, schmerzerfüllten Seufzen blickt sie sich um. Doch ringsum herrscht Dunkelheit. Die Erkenntnis lässt in ihrem Verstand das Geräusch der zuschlagenden Tür aufsteigen.
    Jemand war tatsächlich mit ihr in dem Raum. Jemand hatte sie beobachtet. Etwas …
    Sam verhält sich ganz ruhig, hält den Atem an und lauscht. Das Dunkel um sie herum ist so still wie in einer Gruft, als würde das Leben selbst den Atem anhalten. Alles, was sie wahrnimmt, ist das bestialische Hämmern ihres Herzens. Sie ist sich sicher, dass man es überall im Raum hören kann.
    Ihr Blick versucht, die bleichen Konturen ihres Körpers zu entdecken, die Oberarme direkt neben ihrem Kopf, die Brüste unterhalb des Kinns. Doch die Schwärze ist undurchdringlich, als bestünde sie aus einem dunklen Tuch, das jemand über die Welt gelegt hat. Sie scheint alleine in ihrem Gefängnis zu sein. Und doch …
    Ihre Augen suchen unstet die finstere Wand vor ihr ab. Irgendetwas …
    Sie hat das absurde Gefühl, dass die Dunkelheit direkt vor ihr etwas dichter ist als neben ihr; als wäre das Dunkel dort stofflicher, lebendiger, ein finsterer Vorhang aus Rauch, der in Wallung

Weitere Kostenlose Bücher