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Die Saat der Bestie (German Edition)

Die Saat der Bestie (German Edition)

Titel: Die Saat der Bestie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
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ihm zurückgekehrt ist. Vielleicht steht sie hinter ihm, mitten auf der Straße, wie sie es schon einmal getan hat, als sie sich kennenlernten. Nur, dass sie damals eine Waffe auf ihn gerichtet hatte.
    Doch diese Stimme war nicht die einer Frau. Jemand musste sich an ihn herangeschlichen haben, während er in Selbstmitleid das Gespräch mit einer albernen Schaufensterpuppe suchte.
    David fühlt sich wie ein kleiner Junge, den man beim Stehlen erwischt hat. Langsam hebt er den Kopf, tritt einen Schritt zurück und starrt in die Scheibe.
    Er versucht, Lilly in ihrer leuchtend weißen Bluse auszublenden und sich auf die Stadt zu konzentrieren, die sich im schmierigen Glas widerspiegelt; die grauen Häuser, die ihm wie verschwommene Schatten erscheinen, vereinzelte Wolken, das Wrack eines Wagens auf der anderen Straßenseite, Abfall, der im Rinnstein liegt.
    Niemand steht hinter ihm.
    Irritiert blickt sich David um. Er dreht sich einmal um sich selbst, wobei seine Augen die dunklen Eingänge der Häuser und schmalen Toreinfahrten untersuchen. Sein Blick gleitet über blinde Fenster, heftet sich auf den verrosteten Wagen und wandert dann weiter, bis er wieder ins Schaufenster starrt.
    Er betrachtet sein Spiegelbild. Eine hagere, erbärmliche Gestalt, die Haare ungekämmt, die Kleidung schmutzig und zerknittert.
    Was jedoch Davids Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist sein Gesicht. Diese Augen … verschlagen und voller Hohn … er hat plötzlich das Gefühl, dass ihm ein völlig Fremder gegenübersteht.
    Über sein Spiegelbild zieht sich ein breites Grinsen.
    »Was ist los mit dir? Erkennst du mich nicht?«
    David springt keuchend einen Schritt zurück und hebt abwehrend die Arme. Der Kerl im Schaufenster macht dasselbe, doch das Lächeln verschwindet nicht von seinem Gesicht. Stattdessen neigt das Spiegelbild den Kopf zur Seite und betrachtet ihn abwartend.
    Unsicher tritt David wieder einen Schritt näher. Der andere tut es ihm gleich. Noch einen Schritt … bis er direkt vor der Schaufensterscheibe steht.
    Der andere starrt ihn an, abwartend, mit Augen, die David fremd vorkommen. Das Gesicht, die Haare, die Kleidung … das alles ist er selbst, doch es sind nicht seine Augen, die ihn ansehen.
    »Wie oft hast du mit mir gesprochen«, sagt sein Spiegelbild plötzlich und blickt ihm traurig entgegen. »Du hast mir so viel erzählt, ich weiß alles über dich. Ich weiß, dass du Lilly liebst und dir schon oft vorgestellt hast, es mit ihr direkt im Schaufenster zu tun, wie ein dreckiger Straßenköter. Und jetzt willst du mich auf einmal nicht mehr kennen?«
    Die Gestalt schüttelt niedergeschlagen den Kopf. Davids Blick wandert zu Lilly, dann wieder zu seinem Spiegelbild zurück.
    »Du musst nicht zu Lilly schauen. Sie ist es nicht, die mit dir redet; ich denke, das dürfte auf der Hand liegen.«
    Sein Gegenüber macht eine Pause, scheint zu überlegen, während die Augen David anfunkeln und fixieren. »Du hast ein schlechtes Namensgedächtnis, was?«
    Der Mann im Spiegel stemmt die Fäuste in die Hüften und schüttelt theatralisch den Kopf. »Ich bin es. Gerade du solltest am besten wissen, wer ich bin.«
    David tritt auf die Straße zurück, sein Gegenüber tut es ihm erneut gleich. Zwei alberne Westernhelden, die sich in einem Duell gegenüberstehen.
    »Ich bin Frank«, schmettert der Andere plötzlich los. Dann flüstert er mit unbeherrschtem Zischen: »Ich bin du, mein lieber David.«

    ***

    Etwas später sitzt David im Wohnzimmer, trinkt Wein aus einer Flasche und starrt in die Dunkelheit. Er hat die Fensterläden geschlossen. Eine einzelne Kerze neben der Musikanlage taucht den Raum in geisterhafte Schatten.
    Neil Young singt in voller Lautstärke. Die Luft vibriert, die Bässe kratzen in den Lautsprechern und verpassen David rhythmische Schläge in die Magengegend.
    Durch den Lärm der Musik versucht er, den Tag auszublenden. Er will seine Gedanken mit Alkohol ertränken und die widersprüchlichen Gefühle, die seinen Körper erzittern lassen, mit in die schwarze Grube des Vergessens werfen. Ihm ist kalt, und er fühlt sich so elend wie seit Jahren nicht mehr. Dennoch nimmt er einen großen Schluck aus der Flasche, rülpst, spuckt achtlos neben sich auf den Teppich und versucht, sich auf die Musik zu konzentrieren. Doch Neil Youngs Dramatik ist lediglich die Untermalung für die schrecklichen Bilder, die wie kichernde Dämonen in einer endlosen Parade vor Davids Augen entlang ziehen.
    Er hat früher schon mit Frank

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