Die Saat der Bestie (German Edition)
kann, sind der Stuhl und das Regal mit den Flaschen darin.
Plötzlich versteift sich ihr Körper, und ihre Atmung setzt für einige Züge aus. Was, wenn ihr Peiniger direkt hinter ihr steht und mit gierigen Blicken ihre nackte Haut betrachtet?
Hinter ihr muss sich auf jeden Fall etwas befinden, das trübes Zwielicht in den Raum lässt. Vielleicht eine Tür, die offen steht, weil jemand lässig gegen den Türrahmen lehnt, die Arme vor der Brust verschränkt hält und sein absonderliches Meisterwerk betrachtet.
Als hätte dieser Jemand ihre Gedanken erraten, hört sie das Knarren verrosteter Angeln. Das Grau des Raumes verwandelt sich in Schwärze und lässt Sam in völliger Dunkelheit zurück, nachdem die Tür mit einem metallischen Klicken ins Schloss gefallen ist.
Sam beginnt zu schreien, doch nur ein heiseres Krächzen erfüllt die Nacht ihres Gefängnisses.
***
Die melancholische Stimme von Neil Young erfüllt das Haus wie das Flüstern von Geistern in einer Grabkammer. David geht von Raum zu Raum. In manchen Zimmern liegt Sams Geruch in der Luft, am intensivsten im Gästezimmer. Nicht der Geruch nach Parfüm, das sie aufgetragen hätte, wenn die Welt eine andere wäre. Solche trivialen Dinge braucht man in der neuen Welt nicht mehr und sie wären auch nicht mit Sam, so wie David sie kennengelernt hat, in Einklang zu bringen. Es ist vielmehr der süßlich-herbe Duft ihres Körpers, der ihm in die Nase steigt; diese ganz besondere Note von Schweiß, die jeden Raum wie eine unsichtbare Wolke erfüllt.
Im Schlafzimmer, wo sie sich in der Nacht geliebt hatten, herrscht ein anderer Geruch vor. Der scharfe und intensive Geruch von animalischer Gier, Körperflüssigkeiten und verbrauchter Luft. Aber selbst in diesem Gemisch kann er Sam erkennen.
Vor dem Bett im Gästezimmer bleibt er lange stehen, während Neil Young nur noch gedämpft zu ihm dringt. Ihre Tasche ist verschwunden, ebenso die neuen Kleider. Die Bettdecke ist zerwühlt, das Kissen zu einem festen Ball zusammengedrückt. Ein Indiz dafür, wie unruhig Sam geschlafen haben muss.
David dreht sich um und starrt in den Spiegel auf der gegenüberliegenden Seite. Dass er alleine da steht, gefällt ihm nicht. Der Gedanke, der ihn in der Nacht lange wach gehalten hat, war wärmer, und hat sich so intensiv in sein Denken gebrannt, dass es ihm schwerfällt, seine erbärmliche Figur im Spiegel zu betrachten.
Eigentlich sollte Sam neben ihm stehen, den Arm um seine Taille gelegt und den Kopf an seine Schulter gelehnt. Beide lächeln glücklich in die Kamera, als würden sie immer noch in der alten Welt leben und ihre größte Sorge bestünde darin, welche ihrer Freunde und Nachbarn sie wohl für ihr alljährliches Sommerfest einladen würden.
Das waren seine Gedanken der Nacht, doch wieder einmal hat sich David selbst zum Narren gemacht und sich einem Trugschluss hingegeben. Nicht zum ersten Mal in seinem Leben hat er an Dinge geglaubt, die in der Realität nur schwer zu verwirklichen sind. Das ist eine ganz besondere Gabe von ihm, sich selbst etwas vorzumachen und ein Bild seiner Welt zu malen, wie nur er sie sehen kann.
Seine traurige Gestalt im Spiegel bringt ihn in die Wirklichkeit zurück. Die Schultern eingesunken, mit hängendem Kopf und traurigem Blick, erinnert er an den alten Mann, der ihn in den letzten Monaten jeden Morgen im Spiegel begrüßt hat.
Fast erwartet er, dass sein Spiegelbild wie ein Harlekin zu tanzen beginnt, mit dem Finger auf ihn zeigt und ihm mit diabolischem Lachen entgegenschreit: »Hab ich es dir nicht gesagt? Du wirst niemals Glück haben, selbst wenn du der letzte Mann auf der Erde bist. Niemals, hörst du?«
David lässt die erbärmliche Gestalt allein im Spiegel zurück und geht ins Wohnzimmer hinunter. Der Geruch des Abendessens liegt noch schwach in der Luft. Die Musik ist laut und dröhnt in seinem Kopf.
Er geht zur Anlage und will Neil den Saft abdrehen, doch stattdessen dreht er ihn lauter, so dass die Bässe in den Boxen zu kratzen beginnen und sein Schädel zu bersten droht.
Er braucht Lärm um sich herum, etwas Lebendiges. Mit schweren Schritten geht er zu der Urkunde an der Wand, die Sam am Tag zuvor bewundert hat.
Das Foto wurde vor einigen Jahren am Marlon Lake gemacht, an dem der alljährliche Angelwettbewerb der Stadt ausgetragen wurde. David erinnert sich daran, dass Darleen direkt hinter dem Fotografen stand und ihm die Zunge heraus gestreckt hatte. Deshalb lacht er auch auf dem Foto. Normalerweise
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