Die Saat der Bestie (German Edition)
zurechtgemacht, ihr sprödes, starres Gesicht geschminkt und sie zurück an ihren Platz gestellt. Jetzt steht er wieder vor dem schmutzigen Schaufenster und betrachtet Lilly mit der gleichen Leidenschaft, wie er es in den letzten Monaten so oft getan hat. Sie trägt eine enge Jeans und eine weiße Bluse, deren obere Knöpfe er bewusst offen ließ. Eine Lederjacke hatte er leider nirgends finden können, aber ihr Haar ungefähr so gebürstet, wie Sam es trug.
Er steht lange da, die Hände in den Taschen seiner Hose vergraben, den Blick starr auf Lilly gerichtet. Ihm gehen so viele Gedanken durch den Kopf, dass er nicht weiß, wo er anfangen soll zu erzählen.
An anderen Tagen, wenn er zu ihr gekommen war, um ihr von seinem Tag zu berichten, hatte er keine Probleme gehabt, die richtigen Worte zu finden. Mit Lilly zu reden, war für ihn immer eine Leichtigkeit gewesen. Er hatte es genossen, wie sie an seinen Lippen hing und seinen Worten lauschte. David war ihr Held, und sie ließ ihn das an jedem Tag spüren.
Im wahren Leben ist es für David oft unmöglich gewesen, in Gegenwart attraktiver Frauen die richtigen Worte zu finden oder während des Sprechens nicht zu stottern anzufangen. Das ist schon in der Schule so gewesen, als er mit zehn Jahren einmal versucht hat, Tammy Winters zu seinem Geburtstag einzuladen und sie ihn auslachte, weil er zu stammeln begann. Diese Verlegenheit hat sich durch sein gesamtes verkorkstes Leben gezogen und David zu dem gemacht, was andere all die Jahre in ihm gesehen haben.
In Lillys Nähe fühlt er sich dagegen immer sicher. Er weiß, sie wird ihn nicht auslachen, wenn er mal etwas Dummes sagt, und sie wird ihn nicht kritisieren. Bei Lilly kann David immer so sein, wie er wirklich ist – oder zumindest so, wie er gerne sein würde.
Als er ihr jetzt aber auf die Brüste starrt, die sich unter dem Stoff der weißen Bluse abzeichnen, kommt er sich gehemmt und unsicher vor. Vielleicht liegt es nur daran, dass er Lilly so zurecht gemacht hat, dass sie Sam zum Verwechseln ähnlich sieht; vielleicht ist es aber auch die Tatsache, dass er sich von Sam verraten fühlt. Immerhin hat sie gewisse Hoffnungen in ihm geweckt und mit ihm eine Nacht geteilt, wie er sie selbst mit Darleen nur selten erlebt hat.
Dass sie nun einfach verschwunden ist, kann David nicht nachvollziehen. Und genau da liegt für ihn der Verrat. Es gab keine Anzeichen dafür, dass er etwas falsch gemacht hatte oder dass Sam, wie so viele Frauen vor ihr, in ihm einen jämmerlichen Versager sah. Alles war perfekt gewesen, bis hin zu der gemeinsamen Nacht. Ihr Lachen und ihr Interesse an seiner Person schienen echt zu sein. Und trotzdem war sie gegangen.
David ballt die Hände in den Taschen zu Fäusten. Er spürt Zorn in sich aufsteigen; eine kalte Wut, die ihn zittern und Gedanken in ihm entstehen lässt, für die er sich augenblicklich schämt. Doch gleichzeitig hält ihn eine tiefe Trauer gefangen. Die Trauer des Verlustes von etwas – oder jemandem – den er wirklich mag.
Der Schmerz sitzt tief in seinem Magen und führt dazu, dass er sich schlecht fühlt. Am liebsten würde er sich einfach mitten auf die Straße legen, die Augen schließen und einschlafen; die Stadt hinter sich lassen, den Schmerz, die Trauer und die Wut.
Er tritt näher an die Scheibe heran und blickt Lilly in die Augen. Sie starrt an ihm vorbei.
Langsam hebt er die Hand und legt sie auf das Schaufenster. Die Kälte des Glases kribbelt in seiner Handfläche und lässt ihn erschauern.
»Sag mir, was ich falsch gemacht habe.«
Er flüstert, als hätte er Angst, jemand könnte ihn belauschen.
Lilly starrt einfach nur an ihm vorbei. Auch wenn er sie wie Sam angezogen und frisiert hat, so bleibt sie doch immer Lilly. Sie würde niemals so lächeln können, wie Sam es getan hat. David erinnert sich an die Grübchen, die in ihrem Gesicht aufgetaucht waren, als sie gemeinsam lachten; das Weiß ihrer Zähne, das Leuchten ihrer Augen.
Lilly ist einfach nur eine distanzierte Maske, die David nie das schenken kann, was Sam ihm gegeben hat.
Er senkt den Blick, schließt die Augen und genießt die Kühle der Scheibe an seiner Stirn.
»Warum …?«, flüstert er. Zum ersten Mal seit Monaten spürt er Tränen in seinen Augen. »Warum …?«
»Du willst wissen, warum?«
David reißt die Augen auf, wagt es jedoch nicht, den Kopf zu heben. Er starrt auf seine Füße und konzentriert sich auf die Stimme. Für einen irrationalen Moment denkt er, dass Sam zu
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