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Die Saat der Bestie (German Edition)

Die Saat der Bestie (German Edition)

Titel: Die Saat der Bestie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
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geredet, nur um nicht den Verstand zu verlieren. Wenn er nicht gerade bei Lilly war, dann erzählte er Frank von seinen Ängsten und Sehnsüchten. Frank ist nie real gewesen und David hat nie eine Antwort erhalten und diese auch nicht erwartet. Frank ist einfach nur sein imaginäres Ich gewesen, das ihm zuhörte und ihn vielleicht verstehen konnte, mehr nicht. Frank ist eine Art Harvey, der Hase gewesen, ein eingebildeter Gesprächspartner, der David dabei half, sich nicht einsam zu fühlen und nicht durchzudrehen.
    Frank hat noch nie mit ihm geredet. Frank gibt es nicht. Er ist ein Gespenst, ein Produkt seiner eigenen Fantasie.
    Frank ist sein zweiter Vorname. Und jetzt … jetzt ist da etwas im Schaufenster gewesen, das ihn angesehen und mit ihm gesprochen hat. Etwas, das ihn sogar verspottete.
    David nimmt einen weiteren Schluck und spürt, wie der Wein am Kinn entlangläuft und den Kragen seines Hemdes durchnässt. Er schüttelt den Kopf, klemmt die Flasche neben sich zwischen Oberschenkel und Sessellehne und schließt die Augen.
    Ich verliere den Verstand , denkt er. Tränen treten ihm in die Augen.
    Er denkt an Sam und die Zeit mit ihr. Sie hat ihn als seelischen Krüppel zurückgelassen, ihm ein paar schöne Stunden geschenkt, ihn benutzt und dann gnadenlos fallenlassen. Sie hat sein Herz genommen, es gestreichelt und dann erbarmungslos in die Mülltonne geworfen.
    David greift erneut zur Flasche, will sie zum Mund führen und … hält inne. Er betrachtet den Wein, der als dunkle Flüssigkeit in der Flasche schwappt. Dann steht er auf, stellt die Flasche mit einem lauten Knall auf den Tisch und geht zur Anlage, um die Musik leiser zu stellen.
    Er blickt sich im Zimmer um. Jegliches Leben scheint daraus verschwunden zu sein. Die Schatten wirken düster und traurig.
    Er war über Monate allein gewesen und hat in dieser Zeit niemanden vermisst. Selbst Darleen ist nur noch eine gesichtslose Erinnerung. In einigen Wochen würde Sam dasselbe sein; genauso, wie David selbst eines Tages zur Erinnerung wird.
    Das Zimmer beginnt, sich zu drehen, die dösenden Schatten scheinen sich aus ihren Ecken zu erheben.
    David nimmt die Kerze, wankt vom Wein benebelt durch den Raum und geht die Treppe zum Badezimmer hinauf. Die Wirkung des Alkohols erfüllt ihn wie ein Tuch, das jemand über seine Gedanken gelegt hat und seinen Verstand erstickt.
    Scheiß auf Sam , denkt er sich. Der Gedanke tut ihm gut, er fühlt sich richtig an.
    Scheiß auf Sam.
    »Scheiß auf Sam«, brüllt er lallend der Stille entgegen, geht ins Bad, stellt die Kerze neben dem Waschbecken auf Darleens Schminkregal und stützt sich am Beckenrand ab.
    Augenblicklich spürt er, wie ihm übel wird. Die Welt dreht sich wie ein tanzender Irrwisch um ihn herum und er hat Mühe, aufrecht stehen zu bleiben. Sein Mageninhalt bahnt sich einen Weg durch seine Speiseröhre. David hält den Atem an, schluckt und versucht den Reiz zu unterdrücken, doch im nächsten Moment beugt er sich übers Waschbecken und erbricht den Wein und einige Bohnen, die er am Mittag gegessen hatte.
    Das Geräusch und der Gestank sind erbärmlich. David stiert auf die roten Spritzer im Becken, die ihm wie Blut vorkommen. Er atmet tief ein und aus, keucht, als wäre er einen Marathon gelaufen, würgt noch einige Male, krümmt seinen Rücken und krallt sich am Beckenrand fest. Doch sein Magen ist leer. David spuckt lediglich bitteren, gelben Speichel aus.
    Als er sich wieder beruhigt hat, wischt er seinen Mund mit dem Handrücken ab, zieht die Nase hoch, spuckt noch einmal ins Waschbecken und blickt in den Spiegel darüber.
    Frank ist da und starrt ihm lächelnd entgegen.

    ***

    »Scheiß auf Sam? Solch harte Worte aus deinem Mund?«
    Franks Blick hält ihn fest. In gespielter Empörung schüttelt Davids Spiegelbild den Kopf.
    »Eben noch sitzt du im Dunkeln, säufst dich um das bisschen Verstand, das du noch besitzt, und vergießt Tränen, weil die Schlampe dich verarscht hat, du sie trotzdem vermisst, und jetzt auf einmal ›Scheiß auf Sam‹?«
    David starrt in den Spiegel und taumelt zurück, bis er mit dem Rücken gegen das kleine Regal stößt, das er vor Jahren einmal an der Wand angebracht hatte und in dem Darleen immer Handtücher und Seifenpackungen aufbewahrte. Einige der Schachteln fallen polternd zu Boden.
    All das kann David im Spiegel beobachten: Einen tölpelhaften, ausgezehrten Mann, der mit ausgebreiteten Armen gegen das Regal lehnt, als hätte ihn jemand dort festgebunden,

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