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Die Saat der Erde Roman

Titel: Die Saat der Erde Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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erfüllt war vom Geräusch des fließenden Wassers. Mit Baumstämmen und behauenen Steinen hatte man einen primitiven, aber gangbaren Weg angelegt. In der Spalte war es dunkel, von den schroffen Wänden hing Moos herab, das besetzt war mit funkelnden Wasserperlen, da sich der von oben herabsinkende Wassernebel daran niederschlug. Dann tauchte zur Rechten ein Einschnitt auf, und schon ging es wieder nach oben, über behauene Stufen um eine Kurve herum, dann gelangten sie auf einen grasbewachsenen Hügel mit einem großen Findling im Rücken. An der einen Seite fiel der Boden steil zur Felsenschlucht, dem Wasserfall und den bewaldeten Hügeln ab, während er sich an
der anderen Seite sanft zu einem kleinen, blumenbestandenen Tal absenkte, hinter dem Ibsenskog lag.
    Segranas Tochterwald erstreckte sich über fast die ganze Länge eines Hochgebirgstals. Fünfzig Jahre nach der Aussaat waren Ibsenskog und die anderen Tochterwälder die grünsten und üppigsten Orte auf Umara, wenngleich sie nach wie vor nur mit den spärlicher bewaldeten Regionen Segranas vergleichbar waren, also jenen Gegenden, wo die Vielfalt der Tierbewohner weniger ausgeprägt war. Chel hielt einen Moment inne und ließ die Lebensmelodie des Tochterwaldes auf sich wirken, nahm sie mit Ohren, Zunge und Nase auf, obwohl er wusste, dass dies nur ein schwaches Echo des allumfassenden, niemals endenden Jubellieds Segranas war. Mit geschlossenen Augen lächelte er.
    »Der Lauscher Faldri erwartet uns, Gelehrter«, sprach Giseru ihn an.
    Überrascht öffnete er die Augen und erblickte am Waldrand, bei dem Weg, der in die grüne Umarmung der Bäume hineinführte, den mit einer Kutte bekleideten Lauscher.
    Ich habe gewusst, dass die Gütigen Uvovo die Hüter Ibsenskogs sind, dachte er. Aber mit Faldri habe ich hier nicht gerechnet.
    Giseru lenkte ihr Lohig bereits ins Tal hinunter, deshalb trieb Chel sein Reittier ebenfalls an. Seine Vorfreude auf den Wald wurde jetzt allerdings von einem gewissen Widerwillen getrübt.
    Der Lauscher stützte sich auf einen langen Stab aus rotem Markholz. Auch als sie schon abgesessen hatten und die Lohigs an einem Kerbpfahl festbanden, nahm er sie noch immer nicht zur Kenntnis. Erst als Giseru Chel zu ihm geleitete und sich unmittelbar vor ihm verneigte,
zeigte der Lauscher eine Reaktion - er wandte sich ab und schritt ohne Eile in den Schatten des Waldes hinein.
    »Untergelehrte werden sich um die Tiere kümmern«, sagte er. »Kommt mit!«
    Giseru wirkte verschnupft, doch Chel lächelte bloß nachsichtig und folgte dem Mann.
    Faldri stellt mich auf die Probe, dachte er. Ob das Absicht ist, sei dahingestellt.
    Vorhänge aus zarten Gumaus-Ranken hingen beiderseits des Weges von den Ästen, Lebensraum für zahlreiche blühende Schmarotzerpflanzen, die einen starken Duft verströmten. Rudel kleiner, rotpelziger Igissa sprangen von Baum zu Baum und raschelten im Laub. Quieken und Summen, Pfeifen und Gezwitscher - die überschwänglichen Laute von Ibsenskogs Bewohnern, die untermalt wurden von der Lebensmelodie des Waldes selbst, strömten in seine Gedanken. Er wollte Giseru gerade nach dem örtlichen Wassermuster fragen, da entließ Faldri seine Führerin und bedeutete Chel wortlos, ihm zu folgen. Chel glaubte schon, Faldri wolle überhaupt nicht mit ihm sprechen, doch als sie eine geschwungene Rindentreppe hochstapften, brach er plötzlich sein Schweigen.
    »Du hast große Fortschritte gemacht, seit du den Gelehrtentitel erworben hast«, sagte er. »Obwohl du dich entschieden hast, bei den Krieger-Uvovo zu dienen.«
    Der Lauscher hatte sich ein wenig zurückfallen lassen, und nun gingen sie Seite an Seite. Faldri war Chels Lehrer gewesen, und ihre Beziehung war nicht gerade freundschaftlich gewesen.
    »Ich habe mich entschieden, Segrana und dem Großen Wohl zu dienen, Lauscher«, erwiderte Chel. »Ich bin zu dem Schluss gelangt, dass der Krieger-Stamm meinem Temperament besser entsprechen würde als der der Gütigen.«

    Er versuchte, sich einen versöhnlichen Anstrich zu geben, indem er seine Vorliebe für die Krieger-Uvovo herunterspielte. Doch stattdessen machte seine Bemerkung Faldri nur noch zorniger.
    »Zum Schluss gelangt?«, sagte der Lauscher und wandte langsam und zum ersten Mal den Kopf zu ihm herum. Chel war bestürzt über die Veränderungen, die sein alter Lehrer durch die Lauscher-Verpuppung erfahren hatte: die länglichen Gesichtszüge, die in tiefen Höhlen liegenden Augen, das Zurückstutzen alles

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