Die Saat der Finsternis (German Edition)
Augen liegen und wartete, bis er wach genug war, um sie zu erkennen: Lys saß eng an seinen Rücken gekuschelt hinter ihm, war mit beiden Händen unter sein Hemd geschlüpft und streichelte ihm über den Oberkörper. Kirian erinnerte sich nun, dass er sich nach dem kargen Abendessen bereitwillig halb liegend mit dem Kopf an Lys’ Schulter hatte ziehen lassen, wo er offensichtlich kurz eingenickt war. Das Feuer, das sie mühsam entzündet hatten – es hatte lange gedauert, einigermaßen trockenes Holz zu finden – war jedenfalls noch nicht niedergebrannt. Auch Marjis hatte sich nicht gerührt, das kleine Mädchen lag dicht am Feuer, so dick eingepackt in warme Kleidung und zwei Decken, dass sie wie ein übergroßer Raupenkokon aussah. Sie fürchteten beide, dass die Kleine erfrieren könnte. Marjis war schon viel zu mager und schwach gewesen, als sie geflohen waren. Das war vor fünf Tage gewesen. Und obwohl sie das Kind die meiste Zeit trugen, ihr einen großen Anteil am Essen überließen und sie warmhielten, so gut es ging, schien sie mit jedem Tag weiter zu schwinden. Die gefährlichste Etappe lag nun vor ihnen: Der Aufstieg zum Eisenpass war nur noch wenige Hundert Schritt entfernt – bergauf, wohlgemerkt. Sie hatten bereits am frühen Nachmittag haltgemacht, um all ihre Kräfte zu sammeln. Die Bergspitzen über ihnen waren nicht zu sehen, doch es gab keinen Zweifel, dass dort oben der Schnee hoch lag und die tückischen Stürme nur auf sie warteten. Wächter waren ihnen keine begegnet, auch keine Handelszüge. So spät im Jahr wagte sich niemand an den Pass heran, der noch ein wenig Verstand besaß.
Bloß wir sind dumm genug, verzweifelt genug, wahnsinnig genug …, dachte Kirian träge. Die sanften Liebkosungen, mit denen Lys ihn verwöhnte, mochten unschuldig sein, dennoch bescherten sie ihm ein handfestes Problem. Schon seit er diesen Mann das erste Mal – soweit er sich erinnern konnte – in die Arme genommen hatte, kämpfte er gegen das Verlangen an, ihm die Kleider vom Leib zu reißen und leidenschaftlich über ihn herzufallen. Manchmal bildete er sich ein, das gleiche Verlangen in Lys’ Augen gespiegelt zu sehen, vor allem morgens, wenn sie eng aneinandergeschmiegt erwachten. Aber das musste doch Einbildung sein?
Lys’ Finger streiften über die Brustwarzen, was einen Blitzschlag auslöste, der heiß in Kirians Lenden einschlug.
Hastig setzte er sich auf und rückte von ihm ab. Lys gab einen erschrockenen Laut von sich, wahrscheinlich hatte er nicht einmal bemerkt, dass Kirian aufgewacht war. Kirian drehte sich verlegen zu ihm um und begegnete dem Blick seines Gefährten. Lys wirkte so verletzlich, als er ihn traurig musterte, dass Kirian unwillkürlich die Hand ausstreckte und ihm an die Wange legte.
„Entschuldige, ich … du hast …“, stammelte er. Er schüttelte den Kopf, atmete tief durch und schaffte es, sich zu sammeln.
„Wir sollten uns richtig hinlegen, es wird minütlich kälter.“
Wortlos stand Lys auf und breitete die Decke aus, die sie sich teilten. Kirian legte sich nieder. Doch statt Marjis hochzuheben, ihr eine ihrer Decken zu nehmen und sie so zwischen ihnen beiden zu betten, dass sie sich alle drei fest aneinandergekuschelt wärmen konnten, rückte Lys dicht an ihn heran. Noch bevor Kirian etwas sagen konnte, verschloss Lys ihm den Mund mit einem festen Kuss. Seine Zunge fuhr ihm einladend über die Lippen. Kirian zog ihn an sich, ihre Zungen umtanzten einander, zärtlich und leidenschaftlich zugleich, während Lys ihm mit den Fingern durch den Bart fuhr.
„Ich kann mich dir nicht völlig hingeben.“ Lys keuchte, als er für einen Moment von ihm abließ, und setzte sich auf Kirians Hüften nieder. „Aber falls wir morgen sterben sollten, will ich dir wenigstens einmal noch nahe gewesen sein.“
Sie küssten einander, mit all der aufgestauten Lust und Verzweiflung, die sie empfanden. Kirian empfand es als seltsam, auf dem Rücken zu liegen und von Lys mit Händen, Lippen und Zunge verwöhnt zu werden. Es waren mehr als nur Zärtlichkeiten, mit denen Lys ihn bedachte, es war Andacht. Kirian konnte sich nicht erinnern, doch er spürte, er wusste ganz einfach, dass er zwar sicherlich schon auf diese Weise berührt worden war, bloß gewiss nie zuvor so, als wäre er etwas Kostbares. Ein Schatz, den Lys zu verlieren fürchtete. Er trieb dahin in gleichmäßiger, sanfter Erregung, bis jegliches Denken, Fürchten oder Wollen fortgeschwemmt war und er gänzlich von
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