Die Saat der Finsternis (German Edition)
aber nicht zu schwierig für zwei erschöpfte Männer mit einem Kleinkind sein würde. Der zweite Pass nach Onur, bei dem sie nicht auf die Gnade des Wetters angewiesen gewesen wären, war leider viel zu weit entfernt und von hier aus nur schwer zu erreichen.
Marjis schlief. Zum Glück konnte man sich darauf verlassen, dass die Kleine nicht weinen oder jammern würde, auch wenn das nichts Gutes über ihren Seelenzustand sagte.
Kirian wandte sich zu Lys um, der zusammengekauert am Boden saß, und erhaschte dessen schmerzverzerrten Gesichtsausdruck, den er vermutlich hatte vor ihm verbergen wollen. Er erinnerte sich, dass Lys von einem Spaten getroffen worden war, und abgesehen von den Gesichtswunden hatte sich niemand um die Blessuren kümmern dürfen, die er im Kampf gegen Tiko davongetragen hatte.
„Lass mich nach deinen Wunden schauen“, sagte er und setzte sich hinter seinen Gefährten. Lys wehrte ihn nicht ab, verkrampfte sich aber spürbar, kaum dass Kirian nach seinem Hemd griff.
„Leg dich hin“, murmelte Kirian finster, streifte Lys das Hemd gegen seinen Widerstand über den Kopf und drückte ihn nieder. Lys wimmerte leise, versuchte allerdings nicht, ihm zu entkommen.
Der Anblick des vernarbten Rückens löste eine Kaskade grausiger Erinnerungen aus, die Kirian ebenso wie die dazugehörigen Kopfschmerzen ignorierte.
Mattins Hieb hatte eine heftige Schwellung am linken Schulterblatt hinterlassen, die sich bereits dunkel färbte und vermutlich Lys’ Bewegungen behinderte. Kirian konnte wenig tun, um ihm zu helfen, außer ein Tuch mit kaltem Wasser zu tränken und es ihm zur Kühlung aufzulegen. Doch es ging hier auch nicht wirklich um Wundversorgung. Es war Zeit, Antworten einzufordern. Antworten darüber, wer er war. Wer Lys war. Und was ihm angetan worden war, dass er vor jeder unerwarteten Berührung furchtsam zurückscheute.
„Dreh dich um“, forderte er sanft, nachdem er eine Weile still neben ihm gesessen und Lys sich etwas entspannt hatte.
Der junge Mann gehorchte sofort, aber es fiel ihm sichtlich schwer, halb nackt und wehrlos vor ihm zu liegen. Sein flackernder Blick verriet ihn, die Art, wie sich seine Arme spannten, als wollte er sich vor ihm schützen. Lys wandte den Kopf zur Seite, als Kirian begann, ihm die Rippen abzutasten, um zu prüfen, ob Tiko ihm etwas gebrochen hatte. Er atmete flach und ruckartig.
„Wie schlimm war es?“, fragte Kirian leise. „Wozu wurdest du gezwungen?“
Es schnürte ihm regelrecht die Kehle zu, wie Lys vor ihm zurückfuhr. Lys kämpfte mit zusammengepressten Lidern gegen sich selbst, ließ dabei schweigend zu, dass Kirian alle Prellungen und blauen Flecke vorsichtig untersuchte. Dann seufzte er schließlich und blickte zu ihm auf.
„Es war nicht so, wie du fürchtest“, murmelte er. „Ich wurde nur einmal … ich … der Layn hat mich nicht zu seinem Liebessklaven gemacht.“
„Aber du wurdest als solcher gebrandmarkt“, erwiderte Kirian und fuhr über die Narbe auf Lys’ Arm. Er hatte verstanden, was Lys nicht gänzlich aussprechen wollte, genauso wie er spürte, dass dies nicht die Ursache für den tiefen Schmerz war, den Lys zu verbergen versuchte. Zumindest nicht die wichtigste Ursache.
„Es ist kompliziert. Um es zu erklären, müsste ich dich an all das erinnern, was Onur ausmacht. An das Spiel. “
Nun war es Kirian, der keuchend zurückfuhr. Einen Moment lang war er nahezu blind von den heftigen Qualen, die seinen Kopf in Stücke zu sprengen schienen. Als die Attacke nachließ, fand er sich in Lys’ Armen liegend wieder, fest an ihn geschmiegt.
„Ich will nichts vor dir verheimlichen“, flüsterte Lys. „Im Augenblick sollten wir es dabei belassen. Wir brauchen unsere Kraft für die Flucht. Erst, wenn wir in Sicherheit sind, können wir versuchen uns gegenseitig zu helfen, die Vergangenheit zu begreifen.“
Kirian nickte, rollte sich von Lys’ Körper herab und zog ihn stattdessen an sich heran. Wenn er ihm schon nicht beistehen konnte, wollte er ihn wenigstens wärmen und ihm mit seiner Nähe den einzigen Trost schenken, den er zu vergeben hatte. Er hasste seine Hilflosigkeit, diesen Fluch, den man ihm auferlegt hatte. Wer auch immer dafür verantwortlich war, dass all dies hatte geschehen müssen, dass er nicht einmal fähig war, der Geschichte eines von Folter gebrochenen Mannes zu lauschen, sollte dafür bezahlen.
10.
Etwas weckte ihn, eine Empfindung, die überaus angenehm war. Kirian blieb mit geschlossenen
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