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Die Saat der Finsternis (German Edition)

Die Saat der Finsternis (German Edition)

Titel: Die Saat der Finsternis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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Zähne zusammen und kämpfte sich weiter voran, die Augen starr auf die Stelle zwischen den hohen Felsen gerichtet, von der sie beide hofften, dort den Scheitelpunkt zu erreichen. Wenn es von da ab mehr oder weniger eben weitergehen würde, konnte es nicht mehr allzu weit bis zum Pass sein, und womöglich würden sie es schaffen.
    Es wurde immer düsterer um sie herum, als dichte Wolken das Sonnenlicht verschluckten. Wind kam auf, erst ganz leicht, dann in kalten Böen. Lys und Kirian versuchten, das Tempo zu erhöhen, obwohl sie wussten, dass sie den Wettlauf bereits verloren hatten. Sie ballten beide grimmig die Fäuste, als die ersten Schneeflocken um sie herum zu tanzen begannen, diese hauchzarten Gebilde, die ein weißes Leichentuch über Berge wie Land zogen. Sie waren so wunderschön, stahlen sich still und heimlich in alle Sinne: Lys konnte bald nur noch Schnee sehen, dichtes, dunkles Treiben; nur noch Schnee riechen, und alle Geräusche waren gedämpft. Eisige Flocken liebkosten seine erfrierende Haut, ein feuchter Kuss des nahenden Todes.
    „Kirian, ich sehe die Felsen nicht mehr“, sagte er schließlich und blieb stehen. Als hätte der Sturm bloß auf dieses erste Zeichen der Schwäche gewartet, heulte nun der Wind auf und peitschte den Schnee gewaltsam gegen ihn, von allen Seiten zugleich.
    „Es ist zwecklos“, brüllte Kirian. Lys verstand ihn kaum, obwohl sie keine Handbreit voneinander getrennt standen. „Wir müssen umkehren! Harren wir aus, erfrieren wir, gehen wir weiter, auch.“
    Lass uns hoffen, dass wir den Weg jetzt noch finden, dachte Lys. Er fühlte, dass Marjis sich regte und zu weinen begann, ob nun aus Angst oder vor Kälte.
    „Wir suchen Schutz vor dem Sturm“, schrie er ihr zu und versuchte, seinen Mantel noch ein wenig höher zu ziehen, um ihr Gesichtchen vor dem Zorn des Winters zu beschützen. Dann hakte er sich an Kirians Gürtel ein, um nicht von ihm getrennt zu werden und folgte ihm bergab in das sichtlose Nichts.

*
     
    Lys spürte seine Füße nicht mehr. Seit Stunden schienen sie nun schon durch den Schneesturm zu taumeln, er hatte keine Ahnung, ob sie wirklich bergab liefen. Jeder Schritt kostete immense Willenskraft. Seine Ängste waren mittlerweile erfroren, es war ihm völlig egal, ob er hier starb oder nicht. Damit verlor er aber auch eben diesen Willen, sich noch weiter zu quälen, noch einen Schritt mehr zu laufen, obwohl es unglaublich anstrengend war.
    Ein plötzlicher Ruck ließ ihn nach vorne stürzen, auf einen harten Körper. Lys brauchte einen langen Moment, um zu begreifen, dass es Kirian war, der unter ihm am Boden lag. Diese Erkenntnis riss ihn ein wenig aus seiner Lethargie, hastig kniete er neben ihm nieder und schüttelte ihn durch.
    „Steh auf! Steh auf, oder du stirbst!“, brüllte er ihm ins Ohr. Kirian stöhnte nur unwillig und hob ein wenig den Kopf.
    „Es … sinnlos …“, glaubte Lys zu verstehen.
    „Hoch mit dir! Ich bin nicht so weit gegangen, um jetzt aufzugeben!“ Woher die Wut kam, wusste Lys selbst nicht, doch es war heißer Zorn, der ihm noch einmal Kraft schenkte. Er zerrte Kirian brutal auf die Beine, schlang sich einen seiner Arme über die Schulter, umfasste den schwankenden Mann um die Taille und schleifte ihn mit sich.
    „ … zu schwer für dich … Geht nicht …“, hörte er Kirian protestieren. Lys weigerte sich grimmig, ihm Recht zu geben. Er wusste selbst, dass er mit einem Kind vor dem Bauch und einem halb bewusstlosen Mann auf dem Rücken nicht weit kommen würde.
    Ich gehe, bis ich tot umfalle!, schrie er innerlich entschlossen. Mit den Augen versuchte er, das Dickicht peitschender Schneeflocken zu durchdringen und marschierte dann dorthin, wo es etwas weniger undurchlässig erschien. In Gedanken zählte er seine Schritte, er wollte wissen, wie viel er dem Tod noch abtrotzen konnte!
    Sechzehn …Siebzehn … ist es dort heller? Achtzehn …
    Lys glitt weg und fiel seitlich in den Schnee, wobei er merklich in die Tiefe rutschte.
    Tiefe ist gut, wir müssen runter, dachte er, kroch weiter bergab, zerrte Kirian dabei mit sich. Die Wut war vergangen, zu Eis erstarrt wie die ganze Welt um ihn herum. Nur Hoffnung war geblieben, die letzte Geißel, die ihn zum Kämpfen zwang. Noch einmal kam er hoch, brachte auch Kirian mit Gewalt und Drohungen dazu, sich aufzurichten, hakte sich mit einer Hand fest in dessen Gürtel ein und zwang ihn zu folgen.
    Zwanzig. Einundzwanzig. Der Wind …
    Der Sturm schien tatsächlich

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