Die Saat der Finsternis (German Edition)
sein schienen, bewiesen, dass sie dem Sturm wohl entkommen waren.
Verschwommen erinnerte er sich nun, wie Lys ihn angebrüllt und auf die Beine gezwungen hatte, nachdem er selbst bereits aufgeben wollte. Wie sinnlos ihm der Kampf erschienen war! Wie verlockend der Gedanke, sich hinzulegen und einzuschlafen. Gerne auch für immer.
Beschämt schüttelte er den Kopf und versuchte, Lys zu sich umzudrehen, um zu sehen, wie es ihm ging. Er zischte vor Schmerz, als seine Finger sich weigerten zu gehorchen.
„Mach Platz“, murmelte Marjis energisch, wie er sie noch nie erlebt hatte. Gehorsam zog Kirian seinen Arm zur Seite und wartete, bis das Mädchen sich zwischen ihm und Lys niedergelassen hatte. Die Decke hatte sie nicht bändigen können. Kirian zwang seine halb erfrorenen Muskeln zur Arbeit, bis er das Ding, das die Sklavinnen aus abgelegten Kleidungsstofffetzen zusammengenäht hatten, einigermaßen passend arrangiert hatte.
„Geht es ihm gut?“, fragte er Marjis leise, schon wieder halb eingeschlafen vor Erschöpfung.
„Ja“, versicherte sie mit der unerschütterlichen Überzeugung eines Kleinkindes, das kein ‚vielleicht’ kannte. Es war seltsam tröstlich, und Kirian konnte sich dem Schlaf überlassen, ohne sich weiter zu sorgen.
*
„Was tun wir jetzt?“
Lys hatte diese Frage gefürchtet, sich selbst lange daran gehindert, sie als Erster zu stellen. Dem Schneesturm waren sie entronnen, mit knapper Not, nur einigen wenigen Frostbrandwunden und wie durch ein Wunder mit allen Gliedmaßen. Noch einmal würden sie so etwas nicht überleben. Sie konnten den Pass nicht überqueren. Bleiben, wo sie waren, konnten sie genauso wenig – ihre Nahrungsvorräte waren nahezu aufgebraucht, sie hatten weder die Kraft noch die Ausrüstung, um auf die Jagd zu gehen und sobald Frost und Schnee auch hier in die tieferen Gebieten ziehen würde, was quasi stündlich erwartet werden konnte, war es um sie geschehen. Sie mussten sich jetzt entscheiden, jetzt sofort. Diese Nacht hatten sie überstanden, doch es war merklich kälter heute Morgen als noch gestern vor ihrem Aufbruch zum Pass.
„Ich weiß, du würdest eher hier draußen erfrieren wollen“, begann Kirian zögernd, „aber was ist mit dem Layn? Der Palast ist nicht so weit von hier entfernt, oder? Wir würden dann zwar wieder in der Sklaverei landen, aber es gäbe zumindest für Marjis Hoffnung.“
Lys presste die Lider zusammen und seufzte. Er hatte selbst darüber nachgedacht und es verworfen.
„Ich habe dir nicht erzählt, was dort geschehen ist, und ich kann es immer noch nicht“, flüsterte er. „Kumien würde uns nicht zurück in die Minen schicken, das weiß ich. Ob er uns am Leben ließe, weiß ich nicht, doch ja, für Marjis würde er sorgen lassen. Nur, es ist zu weit weg, Kirian. Wir sind zu geschwächt, um so schnell wie gewohnt zu marschieren und würden gewiss drei, vier Tage dorthin benötigen. Bis dahin ist Marjis tot und wir wahrscheinlich auch. Dasselbe gilt für den anderen Pass.“
Er sah hoch und begegnete Kirians Blick, der ihn intensiv musterte.
„Du klingst, als hättest du noch einen Weg im Hintersinn, willst es bloß nicht aussprechen“, sagte Kirian, als Lys’ Schweigen anhielt.
„Ich wurde auf einem Pfad hergebracht, der unter dem Gebirge hindurchführt. Der Einstieg ist in der Nähe, dort sind ausreichend Fackeln versteckt, und wir müssten es mit einer Schlafpause auf die andere Seite schaffen, von wo aus es nicht allzu weit bis zu einem Tempel ist.“
„Und der Haken …?“
„Dort gibt es einen dreigehörnten Schattenfresser – kein Dämon, sondern ein Drache – der nur Priester und jene, die von ihnen beschützt werden durchlassen. Wenn wir dort entlanggehen, werden wir mit großer Sicherheit von ihm getötet – und nein, das ist leider kein Scherz.“
Kirian starrte ihn verblüfft an.
„Wir haben also die Wahl, ob wir erfrieren, vor Erschöpfung zugrunde gehen, verhungern oder von einer mystischen Kreatur aus der Zeit der Legenden umgebracht werden wollen.“
„So ist es.“
„Irgendeine Hoffnung, dass wir dem Schattenfres… dem Drachen oder egal was entgehen können?“, fragte Kirian zweifelnd.
Lys zögerte. Nur zu gerne wollte er endlich alles erzählen, was seit dem Moment geschehen war, als Onkar ihn um Hilfe bat. Doch Kirian sah auch so schon aus, als würde er bloß von purem Trotz aufrecht gehalten werden. Eine Schmerzattacke war das Letzte, was er jetzt brauchte. Wie sollte er ihm also
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