Die Saat - Ray, F: Saat
kleine Körper, bäumt sich auf, Hände und Füße biegen sich.
»Bernd!« Selbst der Schrei weckt das Kind nicht aus diesem Zustand. »Bernd, wir müssen einen Arzt rufen!«
Stocksteif und blass steht Bernd da in seinem blauen Schlafanzug und starrt auf Quint in ihren Armen.
»Ja …«, sagt er nur, dreht sich um, dann hört sie ihn telefonieren.
4
Stefanie atmet erst auf, als sie Quint auf die Intensivstation gebracht haben . Da sind so viele Maschinen, und alles sieht so technisch und sauber aus, da muss man einfach Vertrauen haben.
Der Rettungswagen ist in die Charité gefahren, Kinderklinik, Neurologie hat sie irgendwann auf einem Schild gelesen.
»Konzentrationsstörungen?«, fragt der Arzt, der irgendwie magersüchtig wirkt. Sie stehen im Flur, vor der Tür, die die Intensivstation abschirmt.
Stefanie muss immer wieder auf sein Namensschild am weißen Kittel sehen, weil sie sich seinen Namen nicht merken kann. Dr. Feigenwinter.
»Schlafstörungen auch?«
»Ja«, muss sie zugeben, und sie fühlt sich noch schlechter.Sie hat irgendetwas übersehen, irgendetwas, was die ganze Zeit da war. Sie ist eine schlechte Mutter.
»Hat er schlimme Träume gehabt, auch tagsüber, so etwas wie Halluzinationen?«
Stefanie sieht zu Bernd hoch, der neben ihr steht und nichts sagt. Alles hängt an mir. Ja, ich war es ja auch, die das Kind wollte.
»Ich habe gedacht, das kommt vom Fernsehen und von dem Computerspiel …« Mama, mach die Affen weg, die Affen!, hat er einmal abends aus seinem Zimmer gerufen, und Frau Prochnowski hat ihr am Donnerstag verstört erzählt, dass Quint sie gar nicht erkannt hätte, einfach gestarrt hätte und … Ihr kommt es vor, als hätte sie tausend Hinweise auf Quints Krankheit gehabt und alle ignoriert. Sie hat versagt, vollkommen versagt …
Bernd legt seinen schweren Arm um ihre Schultern, drückt sie an seinen stämmigen Körper, sie ist ihm dankbar dafür. Er soll endlich aufhören, dieser Dr. Feigenwinter, er bohrt in ihren Wunden.
»Frau Rademacher«, beginnt der Arzt, sie nimmt das Taschentuch, das Bernd ihr reicht, »Frau Rademacher, beruhigen Sie sich, wir tun, was wir können.« Ein mildes Ärztelächeln, sie könnte es ihm aus dem Gesicht schlagen, was weiß er denn schon, wie es ist, sein Kind so zu sehen!
»Wir haben alle Geräte, die neueste Medizin.«
»Wissen Sie, Quint ist unser einziges …« Sie kann nicht weitersprechen, der Kloß in ihrem Hals ist zu dick, sie schluckt, doch der Arzt macht schon Anstalten, sich zu verabschieden, warum sagt Bernd denn nichts? Er tut doch sonst immer so forsch? Sie stößt ihn an. Er ringt um Fassung, Bernd, ihr großer, starker Bernd …
»Wann können wir ihn … äh …«, hat Bernd gerade begonnen und hält schon wieder inne, gestoppt vom professionellen Ärztelächeln.
»Bitte, wir sind mit den Untersuchungen noch gar nicht …«
»Was machen Sie denn seit sechs Stunden?«, braust sie auf, die Wut gibt ihr wieder Kraft.
Dr. Feigenwinter schweigt. Sein Lächeln ist dünn.
»Sie haben vorhin selbst gesagt, das EEG wäre auffällig. Was heißt das? Was hat unser Kind?« So schnell lässt sie sich nicht abspeisen.
»Bitte, die Labortests sind noch nicht abgeschlossen. Haben Sie noch etwas Geduld, gehen Sie jetzt nach Hause. Und lassen Sie uns unsere Arbeit tun.«
Bernd starrt den Arzt an, und Stefanie hat auf einmal Angst, dass etwas aus ihm herausbricht, etwas, das er lange unterdrückt hat, vielleicht schon immer. Seine Liebe zu Quint.
»Nein!«, ruft sie, viel zu laut und zu heftig, das merkt sie selbst, sogar dieser magersüchtige Arzt ist zurückgezuckt. »Ich bleibe hier!«
Der Arzt sieht Bernd an, doch auch der schüttelt den Kopf. »Wir bleiben hier«, sagt er.
Stefanie drückt seine Hand und fühlt, was sie schon lange nicht mehr gefühlt hat, dass er zu ihr steht.
Dr. Feigenwinter lächelt gezwungen und geht. Stefanie starrt hinter ihm her, und plötzlich bahnt sich ein schrecklicher Gedanke den Weg durch ihr Gehirn.
»Bernd? Wieso hat dieser Arzt all die Symptome schon gekannt?«
Bernd beugt sich zu ihr hinunter. »Ich hab mich informiert, die haben hier ein Neuroscience Research Center.«
»Ein was?«
»Sie kennen sich mit Nerven- und Gehirnerkrankungen aus.«
»Du glaubst doch nicht, dass er was mit dem Gehirn hat!«, braust Stefanie auf. »Sag, dass du das nicht glaubst! Sag schon!« Sie hämmert mit den Fäusten auf seine Brust ein, kämpft mitden Tränen, verliert den Kampf, es ist ihr egal,
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