Die Saat - Ray, F: Saat
Grippewelle, die hätte jetzt Berlin erreicht. Mit Julias Mutter hat sie nicht gesprochen, aber Fionas Vater wollte am nächsten Morgen zum Arzt gehen, weil Fiona mehrmals hingefallen ist. Als hätte sie Wackelpudding in den Beinen.
2
Frankfurt
Irgendwas stimmt nicht mit seinen Augen. Fuck. Als würde er durch ein Rohr gucken, durch eine Papprolle. Bastian schlägt sich auf die Stirn, gegen die Schläfen. Komm schon, Bastian, Alter! Die Jalousien in seinem Zimmer hat er zugezogen,in hellen Strichen fällt das Tageslicht zwischen den Lamellen herein. Von der Straße, sieben Stockwerke unter ihm, dröhnt der Berufsverkehr auf der Ginnheimer Landstraße herauf. Und hinter der Wand hört er seine Mutter in der Küche. Sie räumt die Spülmaschine aus, das macht sie immer, während sie wartet, bis der Kaffee durchgelaufen ist.
Er hat das Gefühl, als hätte er keinen Körper mehr. Dabei hat er null Alkohol getrunken. Zero. Trotzdem fühlt er sich seit gestern wie besoffen. In seinem Kopf wabert Gelee, genauso wie in seinen Gelenken. He, konzentrier dich auf deine verfluchte Hand! Warum zittert sie?
Nein, er hat keine Drogen genommen. Ganz bestimmt nicht. Er war die letzten vier Tage allein. Hat nur in diesem bescheuerten Supermarkt Regale ein- und ausgeräumt und dann zu Hause vor der Glotze gesessen.
Grippe? Vielleicht ist es eine Grippe. Wasser. Durst.
Das Rohr, durch das er sieht, wird enger. Das Glas – liegt zersplittert auf dem Boden. Durchgerutscht durch seine zitternde Hand … Wo bin ich … grau … weiß … aus … Luft … Licht … du … nichts … nichts … nichts …
»Bastian, was ist los?« Augen starren ihn an. Otti, richtig, der sich Popcorn ins Maul stopft.
»Ist der Fuck-Job. Frisst … einem … Löcher … ins Hirn!« Seine Stimme klingt seltsam, und was ist mit seinen Augen? Alles ist verschwommen.
»He, Alter, welches Hirn?« Lautes Lachen. Wer sind die alle? Sie machen ihm Angst. Fuck, sie kennen ihn, und er kann sich nicht mehr an sie erinnern. Der mit der Tüte Popcorn ist … Otti … Popcorn … Kino … Eine Hülle hat sich um ihn herum gebildet, eine dichte Hülle aus elastischem Stoff … Er tritt und boxt dagegen … Seine Arme und Beine fühlen sich so fremd an … gehören nicht mehr zu ihm. Und … die Augen? Er ist in einem Fuck-Tunnel, einem Tunnel mitgrauen Wänden …Was haben sie gesagt? Da, in der Mitte des Tunnels, sieht er ihre Münder, ihre Augen, aber dann verschmelzen sie zu einem unförmigen Kloß. Mann, er ist doch nicht in einem bescheuerten Video … Videogame? … Seine Hände suchen Halt, doch die Tunnelwände sind aus diesem elastischen Stoff … Gummizelle … Er versinkt, seine Füße und Beine tauchen immer tiefer ein … in dunklen Schlamm … immer tiefer … Er löst sich auf … zerfließt …
3
Berlin
Stefanie geht ins Wohnzimmer und setzt sich in den Sessel neben die Couch. Bernd nimmt keine Notiz von ihr. Sie starrt in den Fernseher, ohne zu sehen, was dort läuft. Schließlich steht sie wieder auf, sie kann nicht anders, geht ins Kinderzimmer, schaltet das gedämpfte Licht der Stehlampe ein. Quint liegt noch genauso da. Beruhigt schaltet sie das Licht wieder aus und geht zurück ins Wohnzimmer. Die Tagesthemen kommen, und sie kann sich endlich wieder darauf konzentrieren, was der Sprecher sagt.
Es ist halb zwölf, als sie aus dem Badezimmer kommt und zu Bernd ins Schlafzimmer geht. Er schnarcht schon. Auf der Türschwelle dreht sie sich um. Sie muss noch einmal nach Quint sehen.
Wieder schaltet sie das gedämpfte Licht ein. Quint liegt noch genauso da, aber irgendetwas stimmt nicht. Ein Gefühl, mehr nicht. Sie berührt ihn leicht an der Schulter, dreht den kleinen Körper ein wenig zu sich, er rollt zurück auf den Rücken, Quint schläft noch immer. Sie setzt ihn auf, doch sein Kopf kippt zur Seite und nach hinten, er scheint überhaupt keine Kontrolle mehr über seine Gliedmaßen zu haben, er ist wie eine Puppe, ist er so erschöpft? Das Benuron! Ich hätte ihm kein Benuron geben sollen!
»Quint-Schätzchen, komm, was ist los?«, sagt sie leise, tätschelt ihm die Wange. »Quint, komm schon, wach auf!« Seine Augenlider flackern, ihr Tätscheln wird stärker. »Quint, komm!« Irgendetwas stimmt nicht, das weiß sie jetzt. Quint öffnet kurz die Augen, doch der Blick rutscht weg, die Augäpfel drehen nach oben weg, er will etwas sagen, öffnet den Mund, doch es kommt nur ein undefinierbarer Laut hervor. Plötzlich krampft der
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