Die Saat - Ray, F: Saat
Angebot hätte, das er nicht ausschlagen konnte.
»Du gibst Tout Menti! so schnell auf?« Camille hat gemerkt, dass sie schreit.
»Tout Menti! ist erledigt, Camille! Sind wir doch mal ehrlich: Wir schuften rund um die Uhr, und was können wir uns leisten? Eine schäbige Wohnung, billiges Essen und schlechte Klamotten. Wir fahren nicht in Urlaub und gehen nur dann essen, wenn ein anderer zahlt. Und: Was bewegen wir denn schon?«
Dieser Satz kam ihr merkwürdig bekannt vor.
»Ich hab keine Lust mehr dazu, Camille. Nicht nur ich leide, nein, auch meine Kinder, meine Ehe. Ständig geht es nur ums Geld und wie wir den nächsten Monat überleben. Ich bin zu alt, um so weiterzumachen wie bisher. Es gibt einfach zu viel Schönes auf der Welt.«
»Autos?«
»Auch Autos, ja, Reisen, Luxushotels, Restaurants, Mode … Meine Kinder sollen nicht immer auf alles verzichten müssen, verstehst du. So wie einige meiner Klassenkameraden, die nie verreist sind, die in hässlichen, engen Mietwohnungen gehaust haben, deren Eltern sich von früh bis spät abgerackert haben und die sich doch nie was leisten konnten. Stil, Luxus, das kennen die doch gar nicht!«
Sie fragt sich, warum er all die Jahre nie etwas davon gesagt hat. Ihm ist es immer um die Wahrheit gegangen und darum, gegen den Strom zu schwimmen.
»Und verrätst du mir auch noch, wer dir ein so unwiderstehliches Angebot unterbreitet hat?«
»Eine Luxusmarke. Briand. Kennt kaum jemand. Sie stehen hinter einer Uhrenfirma, besitzen ein Modelabel und eine Hotelkette, eine Bank und sicher noch ein paar Sahnestückchen mehr. Ich soll das monatliche Magazin rausbringen. Hundertzwanzig Seiten Reise- und Kulturreportagen, Essays über Philosophie, Wissenschaft, Politik, Kunst, großartige Fotostrecken … und ich bin Chefredakteur.« Er klang vergnügt und entspannt, so wie sie ihn schon lange nicht mehr erlebt hat.
Sie konnte es immer noch nicht fassen. »Ich dachte, du wolltest dich nie kaufen lassen. War das nicht der Grund für Tout Menti!?«
»Wie jeder Mensch hab ich ein Recht auf Meinungsänderung.« Er lachte.
»Man muss dir ein Bombengehalt versprochen haben.«
»Nun, sagen wir mal … endlich schätzt jemand einmal meinen wahren Wert!« Dann erklärte er ihr, dass er gleich am nächsten Tag nach Sofia reisen müsste – er sagte etwas von Altstadtsanierungen und Grundstücken –, und bat sie, die nächste Tout Menti! -Ausgabe ohne ihn rauszubringen, er habe seine Artikel ja bereits fertig. Die finanzielle Seite seines Ausstiegs würde man nach seiner Rückkehr besprechen. »Vielleicht wollt ihr ja auch nicht mehr weitermachen?«
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Und sie wusste auch nicht, wie ihre Zukunft aussehen würde.
»Und weißt du, was das Beste ist, Camille?«, sagte er am Schluss. »Mein Vater hätte niemals für ein solches Magazin gearbeitet!«
Eine tonnenschwere Last schien von ihm abgefallen zu sein, die er all die Jahre mit sich herumgeschleppt hatte.
Briand, recherchierte sie anschließend, gehören einundfünfzig Prozent des Lebensmittelkonzerns Latté, und der wiederum erhält jährliche Zuwendungen für Forschungsprojekte von der Milward-Foundation.
»Sie haben dich gekauft, Christian«, sagte sie ohne Einleitung auf seinen Anrufbeantworter. Doch er rief nicht zurück.
»Du wolltest alles auf eure Homepage stellen.« Ethans Stimme reißt sie aus ihren Gedanken. Sie geht aus der Küche zurück ins Wohnzimmer und sieht, wie er in ihr Notebook starrt.
»Ja, habe ich auch.«
Sie hatte Christian gefragt, und er hatte seine Zustimmung gegeben. »Das kann unsere letzte Tat sein, Camille, ist dir das klar? Dann gehen wir mit Pauken und Trompeten unter, aber das ist immer noch besser, als mit fünfzigtausend Exemplaren dahinzuvegetieren. Zu viel zum Sterben, zu wenig zum Leben.«
Jetzt, im Nachhinein, kommt es ihr vor, als hätte er da schon längst seine Entscheidung gefällt, Tout Menti! aufzugeben.
»Und, wo ist es?«, hört sie Ethan fragen.
Sie wirft einen Blick über seine Schulter. Diese Seite steht vorübergehend nicht zur Verfügung. »Sicher ein Serverproblem.«
»Nein, ich fürchte, die Seite wurde gesperrt«, erwidert er.
»Wie kommst du darauf?«
»Control of Information, Camille!« Er springt auf. »Teil des Plans von The Three Poles. Glaubst du es jetzt?«
Sie starrt ihn an. »Aber wir sind doch nur ein Satireblatt …«
»Du hast immerhin eine Fernsehsendung, Camille.«
»Trotzdem …«
»Euer Blatt wird nicht das
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