Die Saat - Ray, F: Saat
abgesperrt, drei Wagen der Polizei parkten dort, und sechs Beamte, sofern sie beim Vorbeifahren richtig gezählt hatte, sicherten den Eingang. Sie parkte in zweiter Reihe und versuchte, von den Umstehenden Näheres zu erfahren. Ein paar nichtoffizielle Informationen sickerten durch, aber mehr nicht. Diesmal funktionierte wohl die Nachrichtensperre, und so fuhr Camille weiter.
Während sie wartet, dass ihr Notebook hochfährt, stellt sie Teewasser auf – sie muss schnellstens was gegen ihre Magenschmerzen tun – und überfliegt die Notizen von gestern über einen russischen Milliardär, der gerade im Begriff ist, einen französischen Fernsehsender zu kaufen. Lucien hat ein paar großartige Illustrationen angefertigt, sie muss schmunzeln, als sie sie betrachtet. Dann wendet sie sich dem Computer zu und gibt den Namen Jérôme Frost in die Suchmaschine ein. Im selben Augenblick klingelt ihr Handy.
»Ganz kurz, Camille«, hört sie Yvonne Béri, »aber gestern hab ich es nicht mehr geschafft: Er wurde in seinem Labor überfallen, geköpft, an die Wand genagelt, seinen Kopf hat man den Ratten zum Fraß vorgeworfen und auf seinen Hals einen Rattenkopf genäht.«
»Ist das dein Ernst?« Will Yvonne sie auf den Arm nehmen?Camille weiß, Yvonne hat manchmal eine sehr »satirische« Art von Humor.
»Denkst du, so was könnte ich erfinden? Der Wachmann wurde ermordet, die Ratten wurden befreit, und an der Wand soll der Satz gestanden haben: Schöne neue Welt der Genforscher. Ich muss Schluss machen, du bist mir was schuldig.«
Bevor Camille antworten kann, hat Yvonne aufgelegt. Sie versucht, sich das Szenario vorzustellen, und merkt, wie ihr mulmig wird. Jetzt braucht sie erst recht einen Tee.
Kurz darauf trifft Christian ein, das dunkelbraune Haar ungekämmt wie immer, wirft seine abgetragene Lederjacke mit dem für ihn typischen macholässigen Schwung über den erstbesten Stuhl und fragt statt einer Begrüßung, ob sie schon von dem Mord in der Universität gehört hat. Erst dann gibt er ihr rasch einen Kuss auf jede Wange. Für eine Sekunde denkt Camille an die Zeit, als sie leidenschaftlichen Sex miteinander hatten und es kaum abwarten konnten, bis sie allein in der Redaktion waren. Das ist seit einem halben Jahr vorbei, nachdem Christians Frau ihn vor die Alternative gestellt hat, Camille oder sie.
Camille wundert sich seitdem, dass Christian sich an das Versprechen hält. Er hält sich doch sonst nicht an Gesetze und Abmachungen. Nun, sie, Camille, würde jedenfalls nicht wieder anfangen, nein, diese Schwäche würde sie nicht zeigen, obwohl sie gerade nach einem nervenaufreibenden Arbeitstag hemmungslosen Sex zu schätzen weiß. Danach kann sie wunderbar traumlos und tief schlafen.
»Ja, und ich weiß auch, was mit grausam gemeint ist«, sagt sie, die Gedanken beiseiteschiebend.
Er hebt die Augenbrauen und knöpft die Manschetten seines ungebügelten, schrill gemusterten Hemdes aus irgendeinem Secondhandshop auf, hört jedoch sofort damit auf, als Camille ihm den Mord näher schildert.
»Du lieber Gott«, murmelt er, und Camille fällt auf, dass er, obwohl von Natur aus blass, noch bleicher geworden ist. »Jérôme Frost war Mitarbeiter der EFSA«, erklärt Christian, »ich habe zu Hause schon nachgesehen. Das ist die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit. Sitzt in Parma.«
»Parma, Parmaschinken, Parmesan und Parmayog?«
Christian nickt.
Camille spult ab: »Parmayog: Milch, Joghurt, Käse. Global Player, gerade ziemlich in der Bredouille, Milliardenbetrug.«
Die Gerichtsverhandlung zieht sich schon lange hin, sie haben in ihrer Zeitschrift über ein paar delikate Details berichtet – in ironischer Form natürlich –, über die Verwicklung eines französischen Industriellen, der sehr enge freundschaftliche Kontakte zu dem französischen Minister für Ernährung unterhält.
Christian reibt sich die Hände. »Zuerst sollte die EFSA wohl ihren Sitz in Helsinki haben«, erklärt er, während er zu seinem Platz geht, Camille genau gegenüber. »Doch Italien hat sich wohl mächtig ins Zeug gelegt, und Parma hat schließlich den Zuschlag gekriegt.«
»Da hat doch jemand seine Verbindungen spielen lassen, oder?«, kommentiert Camille.
»Bestimmt. Die EFSA residiert im Palazzo Ducale, schön, wirklich sehr idyllisch.«
Camille seufzt. »Wir sind ganz schön verdorben, nicht wahr? Wir machen hier unsere Witze, und vor unserer Tür hat jemand ein bestialisches Verbrechen begangen.«
»Das ist der
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