Die Saat - Ray, F: Saat
Marc Bohin. Im Haus hat man eine Notiz mit der Telefonnummer von Nicolas Gombert gefunden. Ein Taxifahrer erinnert sich, dass er ihn vom Bahnhof zu Bohins Haus gefahren hat. Gombert ist allerdings verschwunden.« Sie steht auf. »Den Bericht können Sie unterwegs lesen.«
»Wohin fahren wir?«
»Wir sehen uns noch mal bei Gombert zu Hause um.« Sie ist schon an der Tür.
»Irène, Sie müssen mir glauben, ich war wirklich krank.«
»Klar.« Er kann sich aussuchen, ob sie ihm glaubt oder nicht. Sie hat das alles so satt. Wer kümmert sich mal um sie?
Die Nachbarin im blauen Jogginganzug will gerade in ihre Wohnung, als Lejeune mit David die Stufen zum Hochparterre hinaufgeht.
»Hallo!« Sie lächelt David an, während sie ihren Oberkörper strafft.
Lejeune hebt ihre Nase und schnüffelt wie ein Hund. Den Geruch kennt sie zu gut.
»Was ist?«, fragt David.
»Riechen Sie das etwa nicht?«
Er schüttelt den Kopf.
Zur Nachbarin gewandt, sagt sie: »Ach, könnten Sie uns noch einmal aufschließen, es vereinfacht die Sache.« Lejeune zückt den Durchsuchungsbefehl.
»Ich hab Ihnen doch schon gesagt, dass Nicolas nicht da ist. Er meldet sich auch nicht auf seinem Handy. Er ist einfach abgetaucht.«
»Deshalb würden wir gern noch einmal in seiner Wohnung nachsehen.«
Die Nachbarin sieht sie gelangweilt an, dann hebt sie kurz eine Schulter. »Von mir aus.«
Im Schlafzimmer stehen die Türen des Kleiderschranks offen, das Bett ist nicht gemacht, Lejeune braucht nicht lange, um zu wissen, dass Gombert nicht wieder heimgekommen ist.
»Meinen Sie, er ist immer noch in Méautis?«, fragt David.
»Unsere Kollegen suchen nach Spuren. Leider hat er auch sein Handy ausgeschaltet.«
»Also keine Chance, ihn zu orten?«
»Wir versuchen es, aber wenn er so klug war, den Akku rauszunehmen, kriegen wir ihn erst, wenn er wieder telefoniert.« Lejeune zieht die Schubladen des Schreibtischs auf. Wohin ist dieser Gombert geflohen? Und warum? Hat er mitbekommen, was mit seinem Freund passiert ist? Oder steckt er etwa hinter diesen Hinrichtungen?
»Bei seinen Eltern ist er wohl nicht untergetaucht, oder?« David blättert die Bücher im Regal durch. Biologie, Genetik, Computer.
»Nein. Da ist er nicht.«
Lejeune öffnet den Kühlschrank. Milch, Eier, eine halb volle Flasche Wein, Tonic-Water, Eiswürfel, Fertiglasagne, Pizza. Singlehaushalt.
»Ein einsamer Wolf, was?«
David grinst, Lejeune verzieht keine Miene. So leicht macht sie es ihm nicht. Aber hier gibt es auch nichts mehr zu finden.
»Gehen wir.« Sie zieht die Latexhandschuhe aus, steckt sie in die Manteltasche, macht die Tür auf und sieht direkt in das entsetzte Gesicht der sportlichen Nachbarin.
»Wollten Sie zu uns?«, fragt Lejeune.
Die Frau will etwas sagen, doch sie bringt nur Gestammel hervor, während sie mit dem Finger auf eine Tür neben der Wohnungstür zeigt.
»Wohin geht’s da? In den Keller?«, fragt Lejeune.
»Ja.« Die Stimme ist kaum hörbar. »Ich wollte Wein holen.«
»Was ist da?«
Das Gesicht der Frau verzerrt sich, dann stürzt sie zu ihrer Tür, doch sie schafft es nicht mehr und übergibt sich noch im Treppenhaus. Lejeune merkt, dass ihre Handflächen feucht geworden sind. Davids Mund zuckt nervös.
»Dann mal los.« Sie hält ihm die Kellertür auf und lässt ihm den Vortritt.
Der Geruch wird intensiver. Erst vor Kurzem sind die Wände gestrichen worden, und der Boden wird bestimmt regelmäßig geputzt. Die Beleuchtung ist gut, auch Kinder müssen sich vor diesem Keller nicht fürchten. Da, am Ende des Flurs, von dem Holztüren zu den verschiedenen Abteilen abgehen, kann Lejeune etwas Großes, Dunkles ausmachen, als hätte jemand einen Sack an die Wand gehängt.
»Ach du Scheiße«, hört sie David vor sich mit erstickter Stimme sagen. Im selben Augenblick erkennt sie, dass da ein menschlicher Körper hängt. Ein langer Metallhaken durchbohrt den Hals, er muss direkt durch den Zungengrund getrieben worden sein. Unter den baumelnden Füßen ist eine Lache aus schwarzem Blut.
6
Seit einer halben Stunde ist Ethan wach. Vor zwölf Stunden hat er eine Schlaftablette genommen, was er höchst selten tut. Sein Kopf ist eine wabernde Masse, und seine Körperteile scheinen nicht so richtig zusammenzupassen. Die ganze Nacht, so kommt es ihm vor, hat er mit ansehen müssen, wie Sylvie umgebracht wird. Er hat sie im Ohrensessel in Méautis gesehen oder in Frosts Labor, an die Wand genagelt. Gerechtigkeit!, hat er immer wieder
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