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Die Saat

Die Saat

Titel: Die Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillermo Del Toro
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Sonnenlicht hinter Vasiliy verschwunden, und gelbe Lampen im Abstand von etwa zehn Metern leuchteten ihm den Weg. Er befand sich jetzt direkt unterhalb der ursprünglichen Bahnhofshalle. Diese große Röhre würde den neuen PATH-Bahnhof mit dem Verkehrsknotenpunkt verbinden, der sich einen halben Block entfernt zwischen den WTC-Gebäuden zwei und drei befand. Für Wasser, Strom und Kanalisation waren weitere Tunnel vorgesehen.
    Je weiter er vordrang, desto deutlicher fiel ihm der feine, pudrige Staub auf, der immer noch die Wände des ursprünglichen Tunnels überzog. Ja, dies war ein heiliger Ort. Ein Friedhof. Hier waren Gebäude pulverisiert, Menschen zu Atomen reduziert worden.
    Er sah ihre Gänge, ihre Spuren, ihre Exkremente - doch die Ratten selbst sah er nicht. Er stocherte mit der Stange in den Höhlen und lauschte. Nichts.
    Die Reihe der Lampen endete an einer Biegung, dahinter lag nur noch samtige Schwärze. Vasiliy hatte einen starken Punktstrahler in seiner Tasche - eine große, gelbe Garrity mit Pistolengriff - sowie zwei Mini-Maglites als Reserve. Doch künstliches Licht machte die ohnehin nur rudimentär ausgebildete Fähigkeit des Menschen, im Dunkeln zu sehen, vollends zunichte.
    Also nahm er sein Nachtsichtgerät heraus. Es war ein Handgerät mit Riemen, das sich perfekt an den Schutzhelm befestigen ließ, von wo er es sich vor das linke Auge klappen konnte. Wenn er das rechte Auge schloss, wurde der Tunnel grün. Er nannte dies den »Rattensichtmodus«, da die glänzenden Augen der Tiere in seinem Sichtfeld deutlich aufleuchteten.
    Hier aber leuchtete überhaupt nichts. Obwohl alles auf das Gegenteil hinwies, waren die Ratten verschwunden. Aus ihren Löchern gescheucht.
    Verwirrt rieb sich Vasiliy die Augen. Es gehörte viel dazu, um Ratten aus ihrem Revier zu vertreiben. Selbst wenn man ihnen ihre Nahrungsquellen entzog, dauerte es Wochen, bis man eine Veränderung in der Population feststellte - und nicht nur ein paar Tage.
    Vom Haupttunnel zweigten weitere, ältere Gänge ab. Vasiliy stieß auf mit Unrat übersäte Gleisanlagen, die seit Jahren nicht mehr benutzt wurden. Die Beschaffenheit des Bodens hatte sich ebenfalls geändert, an seiner Konsistenz konnte er erkennen, dass er das »neue« Manhattan verlassen hatte, das aus Geländeaufschüttungen bestand; nur so hatte man dem Sumpf genug Land abgewinnen können, um den Battery Park zu errichten. Nun hatte er das »alte« Manhattan betreten, die ursprüngliche, trockene Felssohle der Insel.
    An einer Ecke blieb er kurz stehen, um sich zu orientieren.
    Als er in den Quertunnel sah, erblickte er ein Augenpaar. Die Augen glühten zwar wie Rattenaugen, waren aber größer und schwebten wesentlich höher über dem Boden.
    Dann waren sie blitzschnell verschwunden.
    » Hallo?«, rief Vasiliy. Das Echo seines Rufs hallte durch den Tunnel.
    »Wer ist da?«, antwortete eine Stimme, die ebenfalls von den Wänden widerhallte. »Wer ist da?«
    Vasiliy spürte einen Anflug von Angst in dieser Stimme.
    Der Schein einer Taschenlampe tauchte im Tunnel auf, weit hinter der Stelle, an der Vasiliy die Augen gesehen hatte. Er konnte das Nachtsichtgerät gerade noch rechtzeitig hochklappen, um seine Netzhaut zu schützen, dann erwiderte er das Signal mit der Maglite und ging los. An der Stelle, an der er die Augen gesehen hatte, verlief der alte Zugangstunnel parallel zu einem Gleis, das offenbar noch in Betrieb war. Das Nachtsichtgerät zeigte keine glühenden Augen, nichts, also folgte er weiter der Biegung zur nächsten Abzweigung.
    Dort traf er auf drei Maulwürfe mit Schutzbrillen, Helmen, Flanellhemden, Jeans und Stiefeln. Sie legten gerade mithilfe einer Drainagepumpe eine undichte Stelle trocken. Die Halogenbirnen der starken, auf Stativen montierten Arbeitslampen tauchten den Tunnel in ein seltsames Licht wie in einem Science-Fiction-Film. Die Arbeiter waren nervös, standen dicht beieinander, bis sie Vasiliy deutlich erkennen konnten.
    »War da gerade jemand von euch da hinten?«, fragte er. Die Männer sahen sich an. »Was hast du denn gesehen?«
    »Ich dachte, da wäre jemand über die Gleise gegangen.« Vasiliy deutete auf den Tunnel hinter sich.
    Wieder sahen sich die drei Maulwürfe an, dann fingen zwei von ihnen an, ihren Kram zusammenzupacken. »Bist du der Typ, der die Ratten sucht? «, fragte der Dritte.
    »Ja.«
    Der Maulwurf schüttelte den Kopf. »Hier gibt's keine Ratten mehr.«
    »Ich will ja nicht unhöflich sein, aber das ist so gut wie

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