Die Saat
aggressiven oder panischen Schädlingen eins überzubraten.
Orange-weiße Warnkegel waren entlang des breiten Fußgängerwegs zwischen den Verkehrs sperren und dem Baustellenzaun an der Ecke Church und Liberty aufgestellt. Die Leute marschierten mit eiligen Schritten auf den provisorischen U-Bahn-Eingang am anderen Ende des Blocks zu. Eine Atmosphäre der Hoffnung lag in der Luft, warm wie der Sonnenschein, der diesen zerstörten Teil der Stadt mit seiner Anwesenheit beglückte. Nach jahrelangen Planungs- und Ausschachtungsarbeiten konnten die neuen Gebäude nun endlich errichtet werden, und es war, als würde diese furchtbare Wunde endlich anfangen zu heilen.
Nur Vasiliy schien die öligen Verschmutzungen an den Kanten des Bordsteins zu bemerken, den Kot auf den Absperrgittern, die Nagespuren, die die Deckel der Mülltonnen an der Ecke überzogen: verräterische Anzeichen für die Anwesenheit von Ratten an der Oberfläche.
Einer der »Maulwürfe« - so nannten sich die Arbeiter, die in New York im Tiefbau tätig waren - fuhr mit ihm über die Baustellenzufahrt in die» Badewanne« hinunter. Sie hielten am Fuße des Bauwerks, das einmal die neue U-Bahn-Station World Trade Center mit fünf Gleisen und drei unterirdischen Bahnsteigen werden sollte; bis dahin fuhren die silbernen Züge oberirdisch.
Vasiliy stieg aus dem Pick-up, trat zwischen die Betonfundamente und blickte zur Straße hinauf, die etwa sieben Stockwerke über ihm lag. Er befand sich jetzt genau an der Stelle, an der die Türme eingestürzt waren. Das allein raubte ihm den Atem. »Ein heiliger Ort«, sagte er leise.
Der Maulwurf hatte einen buschigen, grau melierten Schnauzbart und trug zwei schmutzige, verschwitzte Flanellhemden übereinander, dazu Jeans, in deren Gürtel er seine dreckverschmierten Handschuhe geklemmt hatte. Sein Bauhelm war mit Aufklebern bepflastert. »Das fand ich auch immer«, erwiderte er. »Aber in letzter Zeit bin ich mir da gar nicht mehr so sicher.«
Vasiliy sah ihn an. »Wegen der Ratten?«
»Ja, deswegen auch, klar. Die sind die letzten paar Tage aus den Tunneln gekrochen, als wären wir auf ein Rattengiftlager gestoßen. Aber das hat sich inzwischen wieder gelegt.« Der Mann schüttelte den Kopf und sah zu der Wand auf, die unterhalb der Vesey Street errichtet worden war. Einundzwanzig Meter senkrecht aufragender Beton.
»Weswegen dann?«
Der Bauarbeiter zuckte mit den Achseln. Die Maulwürfe waren eine stolze Gemeinschaft. Sie hatten New York City erbaut, die U-Bahnen und Abwasserkanäle, jeden einzelnen Tunnel, die Fundamente der Piers, die Wolkenkratzer und Brücken. Das frische Leitungswasser floss nur dank ihnen aus dem Wasserhahn. Es war echte Drecksarbeit, die jedoch ordentlich erledigt werden musste; daher wollte der Mann auf keinen Fall zögerlich oder gar verängstigt klingen. »Irgendwie haben alle hier weiche Knie. Zwei von uns sind losgezogen und einfach spurlos verschwunden. Haben bei Schichtbeginn die Uhr gestempelt, sind runter in die Tunnels und wurden nicht wieder gesehen. Wir sind sieben Tage die Woche rund um die Uhr im Einsatz, aber momentan will keiner mehr Nachtschichten machen. Und keiner will mehr unter die Erde. Sogar die Jungen, die Draufgänger, ziehen den Schwanz ein.«
Vasiliy sah zu den Tunnelöffnungen, die die Bauwerke unterhalb der Church Street eines Tages miteinander verbinden würden. »Dann ist hier in den letzten Tagen gar nicht gebaut worden?«
»Nicht, seit wir die Grube komplett ausgeschachtet haben.«
»Und das alles fing mit den Ratten an?«
»Mehr oder weniger, ja. Irgendwas ist in den letzten paar Tagen hier passiert, ich weiß auch nicht.« Der Maulwurf zuckte wieder mit den Schultern und reichte Vasiliy einen weißen Schutzhelm. »Und ich dachte schon, ich hätte 'nen schmutzigen Job. Wie kommt man eigentlich dazu, Rattenfänger zu werden?«
Vasiliy setzte den Helm auf. Als sie weitergingen, spürte er, wie der Wind in der Nähe der unterirdischen Gänge drehte. »Ruhm und Ehre, Mann.«
Der Maulwurf betrachtete Vasiliys Schuhe, seine Puma-Tasche, die Stahlstange. »Ist nicht das erste Mal für Sie, was?«
»Na, die Schädlinge kommen ja nicht zu mir. Es gibt verdammt viel Stadt unter dieser Stadt.«
»Wem sagen Sie das. Haben Sie eine Taschenlampe dabei?
Ein paar Brotkrumen?«
»Ich komm schon klar.« Vasiliy schüttelte dem Maulwurf die Hand, dann machte er sich auf den Weg in den Tunnel.
Der Eingangsbereich war überraschend sauber. Bald war das
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