Die Saat
hast ihre volle Aufmerksamkeit.« Vasiliy nahm eines der Tiere am Schwanz und schwang es hin und her. »Sie kommen jetzt überall in der Stadt aus ihren Löchern. Sogar tagsüber. Irgendetwas treibt sie raus. In Europa kamen während der Pest die Ratten aus ihren Bauten und fielen auf der Straße tot um. Aber diese Ratten hier kommen nicht raus, um zu sterben. Die hier sind quicklebendig, verzweifelt und hungrig. Und eines weiß ich: Veränderungen im Lebensraum der Ratten sind schlechte Nachrichten für uns. Wenn Ratten die Panik kriegen, wird's Zeit, die Fliege zu machen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Setrakian nickte. »Allerdings.«
»Irgendwie habe ich da etwas nicht ganz mitgekriegt«, sagte Eph. »Was haben denn die Ratten zu tun mit ... «
»Sie sind ein Zeichen, wie Mr. Fet hier richtig festgestellt hat. Ein ökologisches Warnsignal. Dieser Mr. Stoker hat unglücklicherweise den Mythos in die Welt gesetzt, dass ein Vampir seine Gestalt verändern, sich in ein nachtaktives Tier wie zum Beispiel eine Fledermaus oder einen Wolf verwandeln kann. Das ist Unsinn, aber es beruht auf einer Tatsache:
Bevor man Häuser mit Souterrains oder Kellern baute, nisteten die Vampire in Höhlen am Rande der Dörfer. Ihre Gegenwart verdrängte die anderen dort lebenden Kreaturen wie Wölfe und Fledermäuse, jagte sie hinaus, so dass sie die Dörfer überschwemmten - und ihr Auftauchen fiel immer mit der Ausbreitung von Krankheit und Verderben zusammen.«
Vasiliy räusperte sich. »Wissen Sie was? Während Ihres Vortrags habe ich jetzt zweimal das Wort
Vampir
gehört.« Setrakian sah ihn ruhig an. »Da haben Sie richtig gehört.« »Okay«, sagte Vasiliy schließlich nach einem langen, misstrauischen Blick in die Runde. »Dann lassen Sie mich Ihnen jetzt noch etwas zeigen.«
Er führte sie hinunter in den Keller, wo es fürchterlich stank, und zeigte ihnen das zu Staub zerfallene Fleisch und die pulverisierten Knochen. Der rechteckige Flecken Sonnenlicht war weitergewandert und fiel nun auf die Wand. »Vorhin hat's genau hierhingeleuchtet, und die sind da reingerannt und wurden sofort gegrillt. Aber zuerst haben sie mich angegriffen, und zwar mit diesen ...
Dingern,
die aus ihrem Mund geschossen kamen. Die haben ihren Kopf nach hinten weggekippt und den Mund aufgemacht ... Das war so wie bei diesen Bonbondingern früher - diesen Dingern, die die Köpfe von
Star-Wars
-Figuren hatten.«
»Ein PEZ-Spender«, sagte Nora.
»Genau. Man schnippt das Kinn hoch, und das Bonbon schießt aus dem Hals.«
Eph nickte. »Bis auf die Bonbons eine passende Beschreibung.«
Vasiliy blickte sie alle an. »Also, was geht hier vor?«
In aller Kürze erzählte Setrakian ihm von dem abtrünnigen Meister, der sich an Bord von Flug 753 geschmuggelt hatte, von dem verschwundenen Sarg, den Toten aus den Leichenschauhäusern, die zu ihren Verwandten zurückgekehrt waren, von der Stoneheart Group. Von Silber und Sonnenlicht und den Stacheln.
Vasiliy brauchte einen Moment, um das alles zu verdauen.
Schließlich sah er Eph an. »Wie sind Sie eigentlich Staatsfeind Nummer eins geworden?«
»Weil Schweigen ihre Waffe ist.«
»Scheiße. Dann wird's ja wohl höchste Zeit, dass mal einer ordentlich Krach schlägt.«
»Genau.«
Setrakian betrachtete die Lampe, die seitlich an Vasiliys Gürtel hing. »Darf ich Sie etwas fragen? In Ihrer Branche benutzt man doch Schwarzlicht, wenn ich mich nicht irre.« »Klar. Um die Urinspuren der Nager zu erkennen.« Vasiliy beäugte den alten Mann mit Weste und Anzug skeptisch. »Sie kennen sich mit Schädlingsbekämpfung aus?«
»Ich durfte gewisse Erfahrungen sammeln.« Setrakian ging zu dem Hausverwalter hinüber, der aus Angst vor dem Sonnenlicht in die hinterste Ecke des Kellers geflüchtet war und untersuchte ihn mit dem Silberspiegel. Dann wandte er sich wieder Vasiliy zu. »Sie scheinen mir ein Experte für Wesen zu sein, die sich in finsteren Höhlen verstecken. Für Kreaturen, die sich an der Bevölkerung schadlos halten. Ihre Aufgabe ist es, diese Schädlinge zu vertreiben, richtig?«
Vasiliy wirkte wie ein Mann in einem losfahrenden Schnellzug, der plötzlich bemerkt, dass er auf dem falschen Gleis eingestiegen ist. »Richtig.«
»Dann verraten Sie uns doch bitte eines: Wenn Vampire Schädlinge sind - eine Plage, die sich schnell über die ganze Stadt ausbreitet -, was würden Sie tun, um sie aufzuhalten?«
»Nun, von der Warte des Kammerjägers aus gesehen sind Gift und Fallen nur
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