Die Sache mit dem Ich
Armee von Fünfzehnjährigen, die so gern als missraten, desinteressiert, techniksüchtig, weltflüchtig dargestellt wird. Aber ich glaube es nicht. Und selbst wenn es so wäre, wären es immer noch wir, die diesen ganzen Quatsch erfunden und sie damit infiziert hätten. Wir sind es ja, die eine Illusion von grenzenloser Mobilität hochhalten. Ich bin der Typ, der sich mit Videospielen, Handys und iPods beschäftigt und sich mit DVD s aus der Welt beamt, wenn er sich zu Hause langweilt. Ich bin der Typ, der nicht nur frei arbeitet, sondern auch sonst so wenig Verantwortung wie möglich übernehmen will. Ich bin die Insel. Ich bin das Kind. Sie ist etwas anderes.
Auf jeden Fall muss es irgendwas zu bedeuten haben, wenn eine Fünfzehnjährige von einer Festanstellung träumt.
»Du tanzt übrigens etwas komisch«, unterbrach sie meine Gedanken nach einer Ewigkeit.
»Ich tue was?«
»Du tanzt komisch. Gestern, auf der Hochzeitsparty.«
»Ich tanze ganz hervorragend«, sagte ich. »Ich habe Preise gewonnen, auf Kuba, den Bahamas, einmal sogar in Rom.«
»Mag sein, aber das ändert nichts daran, dass es ein bisschen lustig aussieht.«
Gut, dann tanzte ich eben lustig.
Berlin war da. Alexanderplatz, nach drei Stunden und sieben Minuten.
Es ging alles sehr schnell: Ich hielt in der Taxispur des Park Inn, holte ihr Gepäck aus dem Kofferraum, fragte noch mal, ob sie wisse, wo sie hinmüsse, gab ihr zum Abschied die Hand und setzte mich wieder in den Wagen.
Da stand sie nun mit ihrem Rollkoffer, gerade mal fünfzehn, aber trotzdem nicht so, als sei sie darauf angewiesen, dass sie jemand abhole. Sie blickte sich kurz um und setzte sich in Bewegung, eine kleine, mobile Einheit, aber eine mit Ziel und irgendwie entschlossener als die Erwachsenen um sie herum, kam es mir vor.
Ganz kurz überlegte ich, ihr nachzurufen, ob wir nicht mal irgendwann in den Zoo gehen wollten oder ich sie auf drei Kugeln Eis bei ›Australian‹ einladen könnte, nur um zu wissen, wie’s ihr geht. Nur, um sie ab und zu mal aus ihrer Welt berichten zu hören, der Welt der Fünfzehnjährigen.
Ich traute mich nicht. Ich hatte Angst, sie würde es etwas kindisch finden.
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Hotel Somalia
»Es war nur ein Haken dabei, und das war der X-Haken«
Joseph Heller, Catch 22
Manager und Angestellte beschweren sich ja immer wieder gern darüber, aber ich für meinen Teil mag ein Hotel, das auch mal einen Gast beherbergt, der ein bisschen aus der Rolle fällt, ob das nun ein irrer Filmstar, korrupter Politiker oder eine drogensüchtige Punkrockband ist, die das Mobiliar zu Brei schlägt. Das, was du als Manager für zerstörte Fernseher, zerrupfte Sofaecken oder eingetretene Türen auslegen musst, bis die Versicherung zahlt, kriegst du über den unbezahlbaren Wert Mythenbildung doppelt und dreifach wieder rein. Die Gäste lieben eine Suite in der Weltgeschichte – frag nach beim Chelsea in New York (Sid & Nancy), beim Watergate in Washington (Nixon & sein Kassettenrekorder), beim Beau-Rivage in Genf (Barschel & eine verzauberte Flasche Rotwein); sogar das Steigenberger in Düsseldorf (Immendorff & zwei Handvoll Nutten) hat ein paar schöne Anekdoten zu berichten.
Auch das Hotel Sixeighty im Zentrum Nairobis, 35 Jahre alt, zehn Stock hoch, 340 Zimmer, 680 Betten, Einzelzimmer um die 50, Doppelzimmer um die 60 Dollar, war ursprünglich wohl nicht als Ort geplant, in dem die Weltgeschichte vorbeischauen würde. 1970, bei der Eröffnung des mittlerweile ein bisschen heruntergekommenen Businesshotels ohne Roomservice, Klubsandwich, Aircondition oder Pool auf dem Dach, werden die Besitzer als Zielgruppe mittelprächtig verdienende afrikanische Geschäftsreisende oder frühpensionierte Safaritouristen im Kopf gehabt haben, denen Bett und funktionierende Dusche Luxus genug sind.
Das ist nicht gelungen. Jedenfalls sind Abdulrahman Osman Dirir, 39, wohnhaft in Zimmer Nr. 721 des Hotel Sixeighty, Khadar Biihi Aalin, 34, wohnhaft in Zimmer Nr. 722, und Mohamed Ali Hagaa, 36, wohnhaft in Zimmer Nr. 715 schräg gegenüber, nicht das, was man sich normalerweise unter Geschäftsreisenden oder Opis mit Tropenhüten auf dem Kopf vorstellt. Die würden eher nicht mit drei weiteren Kumpels und zwei Frauen auf dem Boden von Zimmer Nr. 721 rumlümmeln, sich gegenseitig anschreien, auf Campingherden Spaghetti kochen, ihre Zigaretten und Rauschdrogen auf den Teppich spucken und so laut Radio hören, dass es im ganzen siebten Stock zu hören ist.
Besuchern gegenüber
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