Die Sache mit dem Ich
Ironie ist das smarte Lächeln, mit dem du der Festlegung entkommst; der galante Ausfallschritt, der dich ungreifbar macht. Dieser Stunt wurde in den Neunzigern perfektioniert.
»Leg dir nichts zu, was du nicht innerhalb von 30 Sekunden hinter dir lassen kannst«, sagt Robert DeNiro in Michael Manns Film »Heat« (1995) zu Al Pacino.
Ironie ist auch produktiv. Mit Ironie kannst du dich täglich neu erfinden und die aus Überfluss und Wohlstand geborene Mischung aus Leere und Leichtigkeit zur Kunstform machen. Die Coen Brothers taten das, Pulp taten das, Beck tat das, Bret Easton Ellis tat das, Tarantino tat das, Madonna tat das. Auch Stefan Raab und Harald Schmidt. Kurt Cobain hatte das nicht so gut draufgehabt. Er hatte alles zu ernst genommen: Integrität, Ausverkauf, Anspruch, die Rolle des Stars in der Gesellschaft. Er war der letzte nichtironische Großkünstler seiner Zeit gewesen und hatte dafür sterben müssen. Danach wurde die Welt zu einem Bild von David LaChapelle: ein Kaugummi-Planet in Hyberbunt, auf dem an jeder Ecke irgendwas Groteskes passierte. Homer Simpson lädt Anna Nicole Smith bei Starbucks zu einer Grande Iced Latte ein, während sich Michael Stipe und Harmony Korine bei The Gap neue Khakis kaufen. Dann gingen alle zusammen »Beverly Hills, 90210« gucken. Gibt’s jetzt auch wieder.
Die Politik verpassten wir dabei ein bisschen. Daran, dass nichts passierte, kann’s nicht gelegen haben: Irak Episode I, Somalia, eine halbe Million Leichen in Ruanda, Krieg im Kosovo, Bin Laden startete seine ersten Anschläge auf Botschaften und Flugzeugträger. Aber irgendwie ließen wir nicht zu, dass diese Dinge zu uns durchdrangen. Die politischen Fragen der Epoche waren Geschmacksfragen: die Anzüge und Cohiba-Zigarren von Gerd Schröder, dieSteingeschosse von Joschka Fischer und ob Bill Clinton wegen Monica Lewinsky zurücktreten müsse oder nicht. »Wie sehen Sie denn aus?«, hieß eine Kolumne im » SZ- Magazin«. Und Nelson Mandela war bloß ein netter Ex-Knacki, der’s zum Präsidenten geschafft hatte.
Vielleicht ist das der Preis, den man zahlen muss, wenn eine Zeit lang alles Pop wird: dass die Politik verschwindet. Vielleicht kann nur dann alles Pop werden. Und für das, was wir jetzt erleben, waren die Neunzigerjahre die Keimzelle, im Guten wie im Bösen:
Mit den CD – Kopien, die wir gierig brannten, weil das im Fraunhofer-Institut erfundene MP 3-Format es möglich machte, zerstörten wir die Musik-Industrie. Wir wurden zu Datendieben und gewöhnten uns daran, alles umsonst zu bekommen. Der rasante Aufstieg und noch plötzlichere Fall des Internet-Booms trug schon alle Anzeichen der Wirtschaftskrise, die Ende 2008 ausbrach. Auch dieser Zusammenbruch hatte viel mit Bewusstlosigkeit und höchstens auf Papier existierenden Werten zu tun.
Es startete damals aber auch die globale Digital-Vernetzung von heute, wo wir zu Hause genauso viel Freunde haben wie in Amerika, Brasilien oder Laos, mit denen wir über Facebook, Twitter, Skype kommunizieren. Die Lieder, Filme, Fotos, die wir übers Internet verschicken, geben uns das Gefühl, selber eine Art Star zu sein, selbst wenn wir noch nirgends aufgetreten sind, nicht mal bei RTL . Steve Jobs ist der Herrscher der Welt, und obwohl Helmut Lang nichts mehr entwirft, schneidern Ketten wie »Cos« seinen Stil fort.
Wir schauen uns zu, wie uns andere zuschauen; dieses Prinzip der ständigen Gegenwart wurde damals geboren. Was das betrifft, sind die Neunziger die eigentlichen Nuller-Jahre dieses Jahrtausends.
Silvester 1999, kurz vor zwölf, waren Til und ich wieder zusammen. Ich sah aus wie John Malkovich, Til sah aus wie Gérard Depardieu, unsere Freundinnen sahen nach gar nichts aus, weil wir keine hatten. Wir standen mit Polenböllern und Piccolo-Champagner auf der Straße und warteten darauf, dass die Welt wegen des Y 2 K – Computerproblems untergehen würde. Das tat sie nicht in dieser Nacht. Das kam erst eindreiviertel Jahre später.
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Die Sache mit Michael Jackson
»Es ist natürlich schwul, was wir hier machen«, sagte Nullmann.
»Die anderen dürfen es nie erfahren«, sagte der Zwerg.
»Auf keinen Fall«, sagte ich.
Wir saßen in der U-Bahn, der Zwerg, Nullmann und ich. Es war ein Nachmittag im Sommer 1988. Es war der Nachmittag des Michael-Jackson-Konzerts im Hamburger Volksparkstadion.
Der Zwerg, Nullmann und ich waren damals nicht gerade das, was man »coole Jungs« nennt. Wir waren nette, freundliche, schüchterne Jungs aus
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