Die Sache mit dem Ich
machen, aber sie eierte dabei so humorlos und uncharmant rum, dass man immer weniger Lust bekam, überhaupt was mit ihr zu tun zu haben. Ich sehnte mich ein wenig nach der Selbstironie von Jenny Elvers zurück und überlegte, ob ich ihr von unter dem Tisch eine SOS-SMS schicken sollte.
Als es ans Bezahlen ging, gab ich dem Kellner 50 Prozent Trinkgeld, damit wenigstens einer von uns mit etwas Plus aus dem Tag ging.
»Sie können ja noch mal überlegen und dann meine Agentin anrufen«, sagte Katja Riemann zum Abschied. Es klang wie: »Da ist noch Hoffnung, eine kleine Chance haben Sie noch, geben Sie sich Mühe, ganz unsympathisch sind Sie ja nicht!«
»Okay«, sagte ich, dachte aber: nö. Diesmal nicht. Diesmal haben wir keine Lust, den immer weiter um sich greifenden Prominentenwahn zu unterstützen, bei dem der Porträtierte jedes Detail desPorträts kontrollieren will, bis gar nichts mehr drin steht, weil es inzwischen Mode geworden ist, nicht nur Zitate, sondern ganze Texte autorisieren zu lassen. Ein bisschen Risiko gehört zum Geschäft, ein bisschen Lässigkeit im Umgang mit dem Selbstbild auch, und weil Katja Riemann den nicht hat und ein Nein für den Neinsager manchmal sehr befreiend sein kann, steht hier nicht ›Das große Katja-Riemann-Interview‹ oder die ›Homestory mit exklusiven Fotos ihrer Tochter‹ und dem ganzen Quatsch. Darum steht hier nur die Geschichte einer Absage, eines Non merci, Madame, muss ja nicht, und das ist gut so.
Sie rief dann noch ein paar Mal an, Katja Riemann. »Haben Sie sich Gedanken gemacht? Schon eine Idee? Was macht der Plan?« Zu einem Termin ging ich sogar noch, aber danach bestand der Plan, wenn es einen gab, bloß in der Vermeidung.
Eins allerdings ist klar: Wenn ich mir Riemann in Levys »Mein Führer« als Eva Braun angucke (bestimmt ist sie gut in der Rolle), ziehe ich mein kubanisches Hemd wieder an, mein Guayabera. Zur Erinnerung an die Zeit, die Katja und ich nie hatten.
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Die Sache mit den Neunzigern
Wir waren zu viert, Stefanie, Til, Nika und ich; es war der Sommer 96, und wir stritten darüber, ob wir zur Love-Parade fahren sollten oder nicht.
»Um nichts in der Welt fahr’ ich heut Abend noch nach Scheißberlin zu den Raverdeppen«, sagte Stefanie.
»Ich genauso wenig«, sagte Nika. »Übermorgen drehen wir, Til, du weißt das genau!«
»Wo zur Hölle denn sonst hin?«, riefen Til und ich.
Wir saßen in Tils und Nikas Altbauwohnung in Hamburg, sie hatte mindestens 300 Zimmer und lag gleich um die Ecke der Uni Hamburg. Bis dahin war es ein netter Abend gewesen: Es hatte Saltimbocca und Rotwein gegeben und zum Nachtisch Kokain. Ich sah aus wie Ethan Hawke, Til wie Kiefer Sutherland, unsere Freundinnen wie Chloë Sevigny und Amber Valletta. Aus der Anlage kam ein Lied von Tricky, auf dem Couchtisch lag ein aufgeschlagenes Buch von Wolfgang Tillmans, das Bild »Lutz und Alex« sah uns an, mit dem halbnackten Pärchen. Darauf hält die Frau den Schwanz ihres Freundes fest, drückt ihn zusammen, muss man eigentlich sagen.
»Warum hält sie seinen Schwanz?«, fragte Stefanie.
»Weil er sehr klein ist«, sagte ich.
»Weil er sehr groß ist«, sagte Til.
»Damit er ein Geheimnis bleibt«, sagte Nika. Ich fand, dass das die beste Antwort war.
In ähnlicher Manier hatten wir auch vorher beim Essen geredet: Es war um das Ende des Magazins »Tempo« gegangen; um Christian Kracht und Rainald Goetz und darum, ob der Designer Helmut Lang wirklich was draufhatte oder nur ein Protegé von einer Handvoll Münchner Journalisten war, die sich einen Spaß daraus machten, Lang zum größten Modegenie seit Yves Saint Laurent zu stilisieren.
Im Grunde waren es Entweder-Oder-Fragen, und manchmal, wenn ich an die Neunzigerjahre denke, denke ich, dass sich die Menschen damals die ganze Zeit nur solche Fragen gestellt haben: Berlin oder Hamburg? Gucci oder Prada? Blur oder Oasis? In gewisser Weise war es ein rhetorisches Jahrzehnt. »Es gibt nur cool oder uncool und wie man sich fühlt«, sang die Hamburger Band Tocotronic. Das traf es in etwa.
Til und ich waren zusammen zur Schule gegangen; wir hatten 1990 Abitur gemacht und uns ein paar Jahre später zufällig wieder getroffen und waren Freunde geworden, im Hamburger Pudels Klub, der damals zum Zentrum einer neuen, deutschsprachigen Popmusik geworden war: Gruppen wie Blumfeld, Die Sterne und Tocotronic sorgten dafür, dass man sich in Hamburg eine kurze Zeit so fühlte, wie man es sich von Seattle
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