Die Sache mit dem Ich
machen kann, allein durch Musik, Stil, Ausstrahlung. Viele Mädchen waren da, mehr mittelhübsche als ganz hübsche.
»Wo ist der Zwerg?«, fragte Nullmann.
»Verdammt, wir haben ihn verloren!«, sagte ich, ein kurzer Moment des Schreckens.
»Ich bin hier«, sagte der Zwerg von irgendwo links unter uns. Dann, die Sonne ging gerade unter, ging es los.
Ich erinnere mich nicht mehr genau, ob es »Dirty Diana« war, was Jackson zuerst sang, oder »Bad« oder »Wanna Be Startin’ Somethin’« oder »Billie Jean«; ich könnte auch nicht sagen, wie oft ersein Kostüm wechselte und ob es Hebebühnen oder sonst was auf der Bühne gab. Diese Details sind alle untergegangen. Eine Sequenz aber sehe ich ganz klar vor mir: das Bild, als der dünne, blasse Michael Jackson zum ersten Mal den Moonwalk macht, und das ganze Stadion ihm mit einer einzigen, aus dreißigtausend Kehlen gebündelten Stimme zujubelt. Selbst der Zwerg schien neben mir zu wachsen, als Jackson zu schweben begann.
»Mein Gott, ist das großartig!«, rief er, der Schüchternste unter uns Schüchternen, und auch Nullmann, sonst eher Skeptiker, starrte mit offenem Mund zur Bühne.
Es war wahr: Michael Jackson konnte fliegen. Er löste sich vom Boden, während er seine Schritte machte; er hob ab. Und mit jeder Bewegung, die wir bejubelten, schien er noch besser, leichter, eleganter zu werden. Nur Großsportler wie Muhammad Ali, John McEnroe oder Maradona haben eine ähnlich unverwechselbare Körpersprache entwickelt.
Michael Jackson, so war es, entstand durch und mit uns. Die Energie, die wir ihm zuführten – vielleicht muss man sie Liebe nennen –, verwandelte seinen zarten, für eine Popstarexistenz eigentlich viel zu zerbrechlichen Körper in etwas Magisches, das über alle physikalischen Grenzen hinaus transzendierte. Jackson war ein verdammter Zauberer, viel größer als Houdini oder der blöde David Copperfield – er gab uns in diesem Moment das Gefühl, dass wir alle auf dem Mond tanzen könnten, wenn wir nur stark genug daran glaubten. Nullmann, der Zwerg, ich: Wir alle vibrierten, zitterten. Meine Hände wurden kalt, alle Wärme sammelte sich in der Brust. Die Erkenntnis dieser Nacht: Das kann nur Pop. Viel mehr geht nicht. Auch in Leben und Religion eigentlich nicht.
Egal wie krank, seltsam, angeschlagen, durch Operationen zerstört, sexuell verwirrt oder irre Michael Jackson in den letzten Jahren seines Lebens gewesen sein mag: Ein Zauberer war er bis zuletzt. Zauberer sind rätselhafte Figuren. Sie erklären sich nicht. Sie stellen mehr Fragen als sie Antworten geben. Dafür lieben wir sie,dafür brauchen wir sie. Und darum ist es natürlich ein großer Verlust, dass Michael Jackson tot ist. Irgendjemand, der es beherrscht, sollte ganz schnell eine Oper über ihn schreiben.
Nullmann, der Zwerg und ich moonwalkten den ganzen Weg zurück nach Hause in dieser Nacht. Zahllose Zeugen sahen uns, aber es war uns nicht peinlich, im Gegenteil. Wir waren stolz, auf uns, auf Michael, auf alles, und wir schwebten auch ein bisschen, und es war ganz und gar wunderbar.
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LSD-Wandern im Burgenland
VORHER
Es war in einer Bar. Wir hatten alle viel gearbeitet und lange nichts genommen, nicht mal was getrunken. Dann kam Viclef, Vigger, wie wir ihn nennen. Er ist der Typ mit dem Geld, dem Zeug, den lustigen Ideen. Träfe man ihn zweimal die Woche, würde man das nicht überleben, trifft man ihn aber alle vier, fünf Monate, kann aus einem guten Abend schnell ein noch besserer werden.
»Rauchen nervt so was von, oder nicht? Ich bin ja für’s Komplettverbot.«
»Ich auch, Vigger.«
»Seit ich’s mir abgewöhnt hab, kann ich das echt nicht mehr ertragen. Nicht mal die Kifferei, wenn ich ehrlich bin.«
»Stimmt.«
»Gehen einem auch die Haare von aus, wusstest du das? Offensichtlich nicht, oder? Hehe.«
»Hihi.«
»Drogen in der Großstadt haben überhaupt was Asoziales, find ich.«
»Ja, da ist irgendwie die Ruhe weg.«
»Das Ritual.«
»Das Entspannte. Macht auch jeder inzwischen. Und links und rechts Kokser. Hab ich so was von satt, die Fressen.«
»Prolldroge Nummer eins, ich sag’s dir. Die Ecstasyleichen am Wochenende kann ich auch nicht mehr sehen. Bin ich zu alt für.«
»Moi aussi.«
»Schon mal LSD gehabt, eigentlich?«
»Nee. Ich nehm ja eh nicht so viel, das letzte Mal vorm halben Jahr, auf Michls Party, die zwei Lines oder was das war.«
»Ich doch auch nicht.«
»Ich stell’s mir ganz gut vor, LSD .«
»Ich hab
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