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Die Sache mit dem Ich

Die Sache mit dem Ich

Titel: Die Sache mit dem Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Fischer
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dünn, trägt eine schwarze Hose zu schwarzem Langarm-Hemd zu schwarzem umgedrehten Barett auf dem Kopf zu schwarzen Zirbelbrauen undrotschwarzem Feuerbart, der was von einer dieser prähistorischen Pfeilspitzen hat, die im Museum manchmal in Glaskästen herumliegen und man sich nie anguckt. Der Schriftsteller T. C. Boyle, den wir anlässlich seines neuen Buchs »Talk Talk« bei sich zu Hause besuchen, ist zu gleichen Teilen
    – Darth Vader
    – leptosomer 58-jähriger Skatepunk
    – Hippie mit Farbenallergie
    und spricht sehr leise und angenehm.
    »Entschuldigung, aber – woher kommen Sie bitte, Herr Boyle?«
    »Ich wohne hier. Sehen Sie – das ist mein Briefkasten.«
    »Ich meine nur, weil keine Tür zu sehen ist.«
    »Ja, ist das nicht ein Wunder? Lloyd Wright war schon lange tot, als ich hier einzog, aber irgendwie scheint er gewusst zu haben, dass mir meine Privatsphäre sehr wichtig ist. Darum ist das Haus so angelegt, dass man von außen keine Türen sieht. Aber kommen Sie herein, bitte.« Das Tor knarzt beim Öffnen, ein leichter Hauch umweht uns, es riecht nach Eukalyptus. Von irgendwoher ein Schmetterling, so ein kleiner feiner Flattermann.
    Irgendwie nicht überraschend, dass es so beginnt. Boyle ist nicht irgendein amerikanischer Schriftsteller. Auf eine gewisse Art und Weise ist er DER amerikanische Schriftsteller. Er ist so, wie man sich in Europa einen amerikanischen Schriftsteller vorstellt: komisches Leben, komische Bücher, komische Klamotten. Verschroben, individualistisch, linksliberal. Er durchlief, das wurde schon oft beschrieben, die klassische Schriftsteller-Lehre: Ex-Alkoholiker, Ex-Junkie, Ex-Musiker, Ex-Highschool-Lehrer. Bevor er nur noch fixen und trinken würde, schrieb er sich in den Siebzigern lieber bei John Cheever und Raymond Carver ein, den zwei Großmeistern der Kurzgeschichte. Seitdem ist er schreibsüchtig, heißt es, habe die Nadel gegen den Stift getauscht. Anfang der Achtziger erschien mit »Wassermusik« sein erster Roman, Welterfolg, seitdembringt er fast jedes Jahr ein Buch heraus, gern auch ein dickes. Er ist sehr fleißig, steht um sieben auf und schreibt durch bis drei, täglich. Angeblich sollen sich auf dem Gelände hier auch noch seine Frau Karen und die Kinder Kerrie, Milo, Spencer befinden, aber von denen ist nichts zu sehen. Fremde, seltsame Welt.
    »Der wohnt auch hier«, sagt Boyle und zeigt in die Luft.
    »Wer bitte?«
    »Der Schmetterling, sehen Sie doch hin! Es ist ein Monarch. Es ist sein Land, die Gegend hier in Montecito heißt Butterfly Lane. Die Schmetterlinge überwintern hier. Sie lieben den Eukalyptus, obwohl er erst seit knapp hundert Jahren in Kalifornien ansässig ist. Man importierte ihn aus Australien.«
    »Mögen Sie Kalifornien?«
    »Ich liebe es, und es liebt mich. Es hat das beste Klima. Das Meer ist nah. Man schwitzt nicht. Ursprünglich komme ich ja von der Ostküste, aus Peekskill.«
    »Reisen Sie viel?«
    »Nicht so wie man vermuten könnte. Ich muss nicht. Die Welt ist bei mir zu Haus.«
    »Ist aber Montecito, Kalifornien, nicht eine Welt, die mit dem Rest da draußen nicht viel zu tun hat? Ihre Nachbarn sind Oprah Winfrey, John Cleese, Steve Martin und geschätzte weitere 7453 Schauspieler oder Talkshow-Moderatoren mit einem Mindest-Jahreseinkommen ab 200000 Dollar. Kriegt man hier überhaupt mit, dass draußen Kriege, Terror, Armut herrschen? Hier, wo selbst Penner dreimal am Tag zu Starbucks gehen?«
    Ein langer Blick aus dunklen Boyle-Augen.
    Sein Erfolg ist schon irre. Seine Auflagen gehen in die Millionen. Irgendwie liest immer gerade irgendwo jemand ein Buch von T. C. Boyle, selbst die Leute, die sonst nichts lesen. Er ist so eine ArtKultautor für alle. Während seine Kurzgeschichten oft was Absurdes haben, einer seiner frühen Helden ist der Surrealist Jorge Luis Borges, erzählen seine Romane vor allem groß angelegte, sauber gebaute Geschichten: In »Grün ist die Hoffnung« geht es um ein paar Kiffer, die mit einer Marihuanaplantage das Geschäft ihres Lebens machen wollen; in »Willkommen in Wellville« geht es um den amerikanischen Gesundheitswahn; in »Dr. Sex« um den irren Dr. Kinsey. Boyle hat immer ein Thema, über das man gut reden kann, das ist Teil seines Erfolgs. »Talk Talk«, sein elfter Roman, handelt von der gehörlosen Dana, die nach einer Routine-Verkehrskontrolle festgenommen wird, weil man sie in mehreren Staaten als Betrügerin sucht. Irgendein Typ finanziert sich seit Jahren ein Leben unter ihrem

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