Die Sache mit dem Ich
den Leuten vom DLR ihre Experimente vor; und damit ich nicht ganz so rüberkam wie der Schwerelosigkeits-Tourist, der ich bin, hatte ich mich auch ein bisschen vorbereitet. In einem Spielzeugladen stieß ich auf ein sehr schönes Lichtschwert aus dem Film »Krieg der Sterne«, das blaue von Obi Wan Kenobi. Das präsentierte ich der versammelten Menge nun als »Jedi-Experiment«. Etwas erstaunte Gesichter zuerst, doch als ich erklärte, dass es darum ginge, herauszufinden, wie sich eine der Ikonen der Science-Fiction unter Weltall-Bedingungen verhält, ihrem geistigen Entstehungsraum sozusagen, waren alle einverstanden.
Jean François Clervoy, Chef von Novespace und ehemaliger Spaceshuttle-Astronaut (»Wie war’s da oben, Monsieur?« – »Magnifique!«), erklärte uns, was am nächsten Tag geschehen würde. Wir würden starten wie ein normales Flugzeug und dann, über dem Ozean, in einen kurzen 47-Grad-Vollgas-Steigflug übergehen, bei dem wir mit doppelter Erdbeschleunigung in die Sitze gepresst würden. Dann würden die Piloten den Schub wegnehmen, sodass wir uns praktisch im freien Fall 22 Sekunden lang auf einer Parabelkurve bewegen würden. Während dieser 22 Sekunden würden wir schwerelos sein, also: fliegen. Vor dem Sturzflug der Maschine und dem Wiedereinsetzen des Schubs sollten wir besser irgendeinen Platz gefunden haben, um nicht von der Decke auf den Boden zu knallen. All das würden wir, mit kleinen Pausen nach jeweils fünf Parabeln, genau dreißig Mal machen. Up and down.
Große Augen im Publikum.
Frage No.1: »Ist das sicher?«
Frage No.2: »Ist schon mal eine Maschine abgestürzt?«
Frage No.3: »Wird mir da nicht schlecht?«
Clervoys Antworten:
1. »Ja. Unser Pilot, lang Testpilot des französischen Militärs, könnte das Ding auch landen, wenn alle Triebwerke ausfallen.«
2. »Non. Jamais!«
3. »Aller Wahrscheinlichkeit nach: Ja, ein bisschen, weil Ihr Gleichgewichtssinn im Innenohr etwas durchdrehen wird. Schließen Sie beim Anstieg die Augen und drehen Sie Ihren Kopf nicht, um das Hirn nicht noch mehr zu verwirren. Sie können sich auch ein Beruhigungsmedikament spritzen lassen. Außerdem haben wir Kotztüten satt, und Ärzte sind auch an Bord.«
Mit diesen Informationen und meinem Lichtschwert in der Hand sitze ich nun im Hotelzimmer, höre David Bowie und trinke gegen den Rat des Arztes drei Gläser Bordeaux. Was soll ich machen – ich war noch nie schwerelos, spürte immer das volle Gewicht meiner 75 Kilo, bin aufgeregt.
Die Schwerelosigkeit sei ein Trip, eine absolut irre Erfahrung, erzählte DLR – Mann Hans Ulrich Hoffmann, der über 840 Parabeln geflogen ist, insgesamt 308 Minuten also, und damit länger in der Schwerelosigkeit war als Gagarin (eine Umlaufbahn, bloß 106 Minuten). Schwerelos zu sein sei ein bisschen wie Sterben, sagte ein Fotograf, der schon oft dabei war. Interessant, denn tot war ich auch noch nicht.
Rotlila Schlieren hängen in der Luft, als der Arzt uns früh am Morgen Scopolaminspritzen gegen die Übelkeit setzt. Die Crew verteilt Blaumänner und Kaugummis; alle losen Teile werden verzurrt, damit sie später nicht in der Maschine rumfliegen. Ein lustig schwebender Wassertropfen, der die Elektrik trifft, würde einenKurzschluss verursachen, da hätte dann wohl auch unser Topgun-Pilot Probleme. Aus ähnlichen sowie ästhetischen Gründen haben sie die Toiletten ausgebaut.
Wir setzen uns, schnallen uns an; ich weite den Gurt auf Reiner-Calmund-Umfang, damit ich später nicht am Sitz klebe.
»Gewöhn dich erst mal dran«, sagt mein Nachbar, »flieg nicht gleich rum wie Superman.«
Wir starten in Richtung freier Luftraum und Atlantik. Etwa eine Stunde später zählt der Pilot den ersten Steigflug an: »Pull-up!« Ich fixiere meinen Kopf und schließe die Augen. Der Druck der doppelten Erdkraft presst mich in den Sitz. Ich vergesse zu atmen. Es fühlt sich an, als würde jemand, der genauso schwer ist wie du selbst, in deinen Körper schlüpfen und ihn gleichzeitig festhalten.
Dann, von einer Millisekunde zur nächsten, passiert genau das Gegenteil. Doppeltes Gewicht wird null Gewicht. Magen rutscht Richtung Kehle, kurzes Gefühl der Übelkeit. Es ist, als würde eine Hand in dich hineingreifen und entleeren, von allem.
Ich schwebe.
Es ist ein unmöglich einzuordnendes Gefühl. Eins des Staunens und der Angst, von Befreiung und Hilflosigkeit zugleich. Was macht mein linker Arm da in der Luft? Wo zur Hölle bin ich, und wie orientiere ich mich?
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