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Die Sache mit dem Ich

Die Sache mit dem Ich

Titel: Die Sache mit dem Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Fischer
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Personal kein Benehmen hat?«, faucht sie den Mann an, dreht sich um und zieht mich – wieder am Ärmel – mit sich aus dem Hotel heraus. Ich möchte gern noch irgendeinen schlauen Satz sagen, bevor wir uns verabschieden, aber mir fällt nichts Gutes ein. So geben wir uns die Hand, und ich sehe ihr nach, wie sie mit dem knielangen Zebramantel und der kleinen schwarzen Handtasche über die Place Vendôme spaziert. Einmal dreht sie sich noch um und winkt ganz kurz, dann verschwindet sie zwischen den anderen Menschen, die auf dem Platz herumlaufen.
    Einen Moment lang ist mir nicht klar, wer oder was ich eigentlich bin, dann weiß ich es: Ich bin nicht mehr der Typ, der wegen schlechter Kleidung aus der Bar des »Ritz« geworfen wurde. Ich bin der Typ, dem Johnny Depp das Mädchen ausgespannt hat.

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Wovon wir reden, wenn wir vom Rauchen reden
    Von 2005 bis 2009 habe ich nicht geraucht. Es war insgesamt gesehen nicht die schlechteste Zeit. Krisen kamen und gingen, Industrien wuchsen und fielen wieder in sich zusammen, ein Schwarzer wurde Präsident der USA. Ich erlebte all das mit mehr Luft, mehr Geld und weniger Gift in den Lungen, sodass ich mir manchmal überlegte: Zehnkampf, Marathon, Apnoe-Tauchen – warum nicht?
    Es war die Zeit, in der man das so machte. Vorher nicht. Vorher rauchte ich die erste Zigarette vor dem Kaffee, die zweite danach, die dritte vor dem zweiten Kaffee usw. Alle, die ich kannte, machten das so. Accessoire der Jugend, vielleicht, aber seit Jahrtausenden hatten die Menschen es nicht anders gemacht, wieso auch? Drei Rituale hat der Mensch, die ihn vom Tier unterscheiden: Tanzen, Sex mit Liebe, Rauchen.
    Anfang des Jahrtausends aber änderte sich das. Die ganze Welt sah sich einem Reinigungsprozess unterworfen: Radikale Muslime forderten Gottesstaaten überall; radikale Amerikaner forderten Demokratien überall; radikale Klimaschützer forderten CO2-Verbote überall; radikale Ernährungswissenschaftler forderten Bio-Produkte überall. Der Neustart in die neue Zeit sollte hygienisch und rein beginnen. Das Internet macht keinen Dreck, von den ausgelöschten Büchern und CDs bleiben ja auch bloß Daten. Dazu gehörten auch die Körper: Schlank, sauber, rauchfrei hatte der neue Mensch zu sein, um mit ihm die Zukunft zu bauen. Und selbst wenn nochnicht ganz klar war, wann die Kolonisation des Weltraums beginnen würde: Rauchen würde man dort eher nicht. Schon wegen der schwerelos rumfliegenden Aschenbecher.
    Auch ich wollte ein neuer Mensch sein zu dieser Zeit, ein moderner Mensch, und wer modern war, rauchte nicht. Jahr für Jahr war es immer absurder geworden. Zuerst verboten sie es in den Flugzeugen, dann in öffentlichen Gebäuden, dann an Bahnhöfen, in Büros, Klubs und Restaurants. Der Marlboro-Mann und das Camel-Kamel wurden aus Kino, Fernsehen, Zeitschriften geworfen. In Filmen rauchten nur noch charakterlich fragwürdige Personen. »Loser« hieß ein Nichtraucherspot der Bundesgesundheitszentrale im deutschen Fernsehen. Bis zum Aufstand der Eckkneipen, der das Gesetz mit Unterstützung des Bundesgerichtshofs wieder einschränkte, durftest du dir praktisch nur noch in Gefängnissen eine anzünden.
    Amerika hatte angefangen damit, die Zigarette aus der Gegenwart zu tilgen, Kalifornien. Europa war gefolgt, denn Kalifornien war immer das Vorbild gewesen für das, was die Welt sein könnte, wenn sie gelungen war: blauer Himmel, Meer, Palmen, leichtes Essen mit viel Fisch, überall Licht. Und Frauen und Männer mit geölten Körpern wie aus Pornofilmen.
    So gewöhnte ich mir das Rauchen ab. Von einem Tag zum anderen entschied ich, dass zwanzig Zigaretten am Tag nicht zu mir passten. Nikotinsucht und Lungenkrebs passten nicht. Beim Treppensteigen keuchen passte nicht. Mief in den Kleidern passte nicht. Schlechte Haut passte nicht. Wie eine dumme James-Dean-Kopie an Häuserecken rumhängen passte nicht. Die ewige Suche nach einem Platz, wo man ungestört rauchen konnte, passte nicht. Ich wurde, wie die Gesellschaft es empfahl und verordnete, gesund.
    Es gelang recht schnell. Ich musste keins dieser Abgewöhnbücher lesen, wurde nicht wesentlich dicker. Ich kaufte nur einfach keine blauen Gauloises mehr, stattdessen einen neuen iPod. Er hat, genau wie jedes Mobiltelefon, ziemlich genau die Größe einer Schachtel Zigaretten, ein Zufall ist das nicht.
    Ein paar Wochen, nachdem ich mein Leben als rauchloser Mensch begonnen hatte, war ich bei einem Freund zum Essen. Es gab Saltimbocca,

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