Die Sache mit dem Ich
in den Displayspiegelungen.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, vor einer Bar, standen ein paar Typen herum. Es waren rauchende Freaks, sie sahen ungesund aus und verlebt, sie hatten etwas von Obdachlosen an sich. Aber sie hatten auch etwas, was sie miteinander verband. Darum entschied ich mich für die Schnapsidee und ging rüber zu ihnen.
»Do you have a cigarette for me?«
»Sure, man.«
Es war gar nicht die Zigarette, die mich wieder das Rauchen anfangen ließ. Es war das »Sure, man«.
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Reise in die Schwerelosigkeit
Es gibt viele Arten, Urlaub zu machen: Es gibt den, wo du am Strand rumliegst, ab und zu ins Wasser springst und abends Fisch isst. Es gibt den, wo du dich in acht Lagen Daunen wickelst und einen Berg hinunterstürzt. Es gibt den, wo dir eine viel zu heiße Zwölf-Millionen-Stadt mit ihrem Mix aus Irrsinn und Verbrechen ins Gesicht springt. Und es gibt den, wo du mit einem Laserschwert in der Hand im Zimmer eines Flughafenhotels sitzt und Wein trinkst, weil du keine Ahnung hast, was dich am nächsten Tag erwartet.
Aber immer langsam.
Es war vor ein paar Wochen, in einer neuen Bar in Berlin. Die Leute tanzten, tranken, redeten. Die Krise merkte man kurz mal nicht so.
»Und du?«, fragte einer.
»Top, komm grad aus Kambodscha zurück. Sechs Wochen.«
»Geil. Ich fahr nächste Woche nach Teheran.«
»Shit, da würd ich gern mitkommen. Bin da aber wohl in Kabul. Grüß Farhad von mir!«
Eventuell ist das Problem dieser Generation nicht die Tatsache, dass sie mit iPhones, iPads und Facebook überschüttet wird, dachte ich in diesem Moment. Eventuell ist ihr Problem, dass sie mit Mitte dreißig schon alles gesehen und erlebt hat. Jede Droge probiert, jeden Sex gehabt, jeden versteckten Strand gefunden. Been there, done that. Nur im All waren wir noch nicht. Schwerelos war bislang kaum einer.
Schwerelos.
Große Sehnsucht kam plötzlich über mich. Das Wort schwebte über mir, ich stieß es mit den Fingern an wie Charlie Chaplin die Weltkugel in »Der große Diktator«. Wäre es nicht das Tollste, Passendste, jetzt mal kurz schwerelos zu sein, während die Welt kopfüber in den Abgrund fiel wegen Griechenland und den Prügel- und Missbrauchskatholiken, während sie ein Wahn aus Schuld & Sünde war? Wäre es nicht ein Erlebnis, das uns über alles Irdische erheben würde?
So kam ich her, nach Bordeaux, wo die Firma Novespace das möglich macht. Hier veranstalten sie die sogenannten Parabelflüge, mit denen du Schwerelosigkeit zwar nicht gleich im All, aber zumindest auf der Erde erleben kannst – mit einem über dreißig Jahre alten A-300-Airbus, der acht Kilometer über dem Atlantik durch kontrollierte Steig- und Sturzmanöver eine Abfolge von Parabelkurven fliegt. Während dieser Parabeln ist die auf der Erde herrschende Schwerkraft im Inneren des Flugzeugs kurzzeitig aufgehoben. Magie der Physik: Dinge, Menschen, Tiere verlieren ihr Gewicht. Auf der Erde ist es der einzige Weg, diesen Zustand zu erreichen. Es ist so, als ob du wie Juri Gagarin in einer Kapsel im All sitzt oder als einer der Astronauten in der International Space Station arbeitest. Es ist wie in »Space Oddity« von David Bowie.
Es war um die Mittagszeit, als ich mit einem Haufen Wissenschaftler zur Lagebesprechung in dem kleinen Novespace-Lagerhangar am Flughafen Bordeaux-Mérignac kam. Auch wegen Richard Bransons geplanter Kurzreisen ins All will die Firma demnächst »Zero Gravity«-Touristenflüge anbieten, wie sie’s in Amerika und Russland schon gibt (würden dann wohl um die 3000 Euro pro Person kosten) – aber im Augenblick sind es vor allem Forscher, die in die Schwerelosigkeit geschickt werden. Zweimal im Jahr ermöglicht es das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt ( DLR ), Experimente machen zu lassen, die auf der Erde nicht möglich wären.
Von überall aus Deutschland sind sie gekommen, von der Uni Freiburg, vom Fraunhofer-Institut, von der Luftwaffe, um ihre Geräte in dem leer geräumten Bauch des Airbus zu verzurren: Medizinstudenten, die Knochenaufbau und Wahrnehmungsveränderungen in der Schwerelosigkeit untersuchen; Physiker, die mit Wassereis-Molekül-Versuchen herausfinden wollen, warum die Saturn-Ringe so beschaffen sind, wie sie beschaffen sind (sehr breit, aber auch sehr dünn); Techniker, die unter Weltraum-Bedingungen eine vier Meter lange Helix-Satelliten-Antenne ausklappen wollen, die später verlorene und von Piraten gekaperte Schiffe aufspüren soll.
Sie alle stellten
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