Die Sache mit dem Ich
hervorragend. Als ich mir nach dem letzten Bissen keine anzündete, war der Freund sehr überrascht.
»Du rauchst nicht mehr?«
»Nein.«
»Du ohne Zigarette, das sagt mir was«, sagte der Freund. »Das sagt mir was über die Zeit, in der wir leben. Das sagt mir, dass etwas zu Ende gegangen ist.«
»Was ist zu Ende gegangen, mon ami?«
»Die Zeiten des Exzesses, des Ausschweifens, der Nichteffektivität. Die scheinbar nutzlosen Zeiten, die uns doch die nützlichsten sind!« Ja, so können Freunde reden, wenn sie gut drauf sind – wehmütig das Vergangene betrauern wie Flaubert in »Die Erziehung des Herzens«.
Natürlich ist und war das Rauchen immer eine Schnapsidee und unter den vielen Schnapsideen des Menschen wohl eine der schädlichsten. Rauchen war Zeitverschwendung, Geldverschwendung, Lebensverschwendung – und nie wieder wurde das so klar erkannt, formuliert und verstanden wie in den letzten Jahren. Das Ding ist aber eben auch, dass es bei all den Sachen, die der Mensch so anstellt, vor allem seine Schnapsideen sind, die ihn sympathisch machen. Was das sind, Schnapsideen? Schnapsideen sind Ideen, die nicht sofort in Verwertungszusammenhängen denken; die nicht planen, rechnen, kalkulieren; die nicht an die Zukunft denken, sondern aus dem Moment für den Moment entstehen. Lustvolle Handlungen ohne erkennbaren Sinn. Und das perfekte Symbol für derartige Ideen des Menschengeschlechts war bislang die Zigarette, mit Filter 8,3 cm lang, 7 mm breit, im Schnitt 0,9 Gramm schwer.
Der unvernünftig rauchende Mensch, der Schnapsideenmensch also, ist der Mensch, der sich in einer konstant vor sich hin rollenden Welt mal kurz an den Straßenrand stellt, sich den Verkehr anschaut, eine anzündet und sagt: »Aha, so läuft die Sache also, amüsant.« Der unvernünftig rauchende Mensch ist der, der vor die Tür geht, während drinnen alle feiern, um mal kurz still in den Himmel zu gucken und zu denken: »Ach ja, die Sterne gibt’s auch noch, schön, schön.« Je nach Veranlagung denken sich Menschen in diesem Zustand Romane, Lieder, Schlachtpläne aus. Der unvernünftig rauchende Mensch ist, um’s hier mal für die zeitungslesenden Existenzialisten zu sagen, in einer Welt der vernünftig nichtrauchenden Menschen so ein bisschen der Camus’sche Mensch in der Revolte. Old World, nicht New World. So wie die querulante romantische Wissenschaftlerin, die Sigourney Weaver in »Avatar« spielt. Sie stellt sich gegen das Fortfressen der Industrie bis in die letzten Winkel der Welt und stirbt natürlich, klar.
Es war letzten Sommer in New York, als mir auffiel, dass wir dieses Symbol der Schnapsidee inzwischen ein bisschen verloren haben.
Es ging mir nicht gut damals, es war zu heiß, die Stadt war zu voll, die Leute, die ich treffen sollte, versetzten mich andauernd. Ich konnte nicht viel mehr tun als in Cafés herumsitzen und in die Gegend starren. Irgendwas war anders, aber was? Es dauerte etwas, bis ich’s bemerkte. Dann war’s klar:
1. Obwohl der Laden voll war, war’s sehr still. Kaum einer redete mit einem anderen.
2. Die Menschen tranken Bio-Limonade und Bio-Kaffee und aßen Bio-Bagels.
3. Alle trugen enge Hosen und sahen sehr gut aus. Wie Kalifornier halt.
4. Die schönen Frauen interessierten sich nicht für die schönen Männer, und die schönen Männer interessierten sich nicht für die schönen Frauen.
Stattdessen beschäftigten sie sich mit ihren iPhones oder Blackberrys. Sie hatten Kopfhörer auf, sie stippten und tippten über die Displays, sie flippten und kippten sie und lachten sie an, als seien es alte Schulfreunde oder sehr folgsame Haustiere. Sie sahen sich Fotos an oder Videos, sie bestellten etwas und lasen Artikel über die Lage in Afghanistan. Sie waren Sende- und Empfangsstationen zugleich und so beschäftigt, dass eine Bombe vor dem Café hätte explodieren können oder eine Boeing notlanden, sie hätten es nicht gemerkt.
Die Menschheit, dachte ich, ist sehr vernünftig. Sie hat die Zigarette gegen die Technik getauscht. Sie reduziert und optimiert. Sie informiert sich ständig und wird mit jedem Tag effizienter. So wird es weitergehen. Aber wohin, verdammt noch mal? Und was werden dann unsere Rituale sein, wir brauchen doch welche, um nicht komplett durchzudrehen?
Die Frage machte mir Angst. Ich fühlte mich nicht modern genug. Vielleicht lag’s auch nur daran, dass ich allein war. Ich hätte gern mit jemandem darüber geredet. Die anderen sahen mich aber nicht, nur sich selbst
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