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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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nur die erste Zugbrücke mit einer Radwinde versehen war: Sie wurde Abend für Abend hochgezogen, die zweite dagegen nur in Notfällen. Aber was half es, sich darüber den Kopf zu zerbrechen? Sie mussten sich eben etwas anderes einfallen lassen. Ließ sich die Brücke nicht hochziehen, so konnten sie doch auf keinen Fall das Tor verschließen und auf diese Weise die Flucht des Grafen verzögern. William rannte die Wendeltreppe wieder hinunter, und Walter blieb ihm auf den Fersen. Unten angekommen, traf es ihn wie ein Schlag. Nicht alle Burgbewohner waren bei der Frühmesse: Vor seinen Augen verließen gerade eine Frau und ein Kind die Wachstube. William erkannte sie sofort. Es war das Weib des Baumeisters, das er tags zuvor für ein Pfund Silber hatte kaufen wollen. Sie starrte ihn aus durchdringenden, honigfarbenen Augen an. Er wusste, dass er vor ihr nicht den harmlosen Besucher zu spielen brauchte; nie und nimmer würde sie ihm das abnehmen. Entscheidend war, dass sie keinen Alarm schlug – und dafür gab es nur eine Garantie: Sie musste ebenso schnell und geräuschlos getötet werden wie die Torwächter.
    Aber diesen Augen entging nichts. Sie erkannte an seiner Miene, was er vorhatte, packte das Kind bei der Hand, drehte sich um und rannte auf den Wohnturm zu.
    Die beiden Angreifer nahmen sofort die Verfolgung auf, wurden jedoch durch ihre Kettenhemden und ihre schweren Waffen behindert. Hinzu kam, dass sich die Frau und das Kind als ungewöhnlich flink erwiesen. Schon hatten sie die Außentreppe des Wohnturms erreicht. Die Frau stürmte hinauf und begann zu schreien. Keuchend blieben William und Walter am Fuß der Treppe stehen und sahen sich um. Das Spiel war aus. Die Wächter auf den Türmen waren durch die Schreie alarmiert worden. Erst zwei, dann drei, dann vier von ihnen verließen ihre Posten und stürmten herunter in den Hof. Die Frau verschwand, das Kind noch immer an der Hand, im Innern des Wohnturms. Auf sie kam es jetzt nicht mehr an. Nun, da die Wachposten alarmiert waren, ergab ihr Tod keinen Sinn mehr.
    William und Walter zogen ihre Schwerter. Seite an Seite standen sie im Hof – bereit, um ihr Leben zu kämpfen.
    Der Priester hielt gerade die Hostie über den Altar, als Tom merkte, dass mit den Pferden etwas nicht stimmte. Sie wieherten und stampften ungewöhnlich heftig mit den Hufen. Kurz darauf unterbrach jemand den leisen lateinischen Singsang des Priesters mit den Worten: »Es riecht nach Rauch!«
    Jetzt nahmen auch Tom und die anderen Gottesdienstbesucher den Brandgeruch wahr. Tom, der die meisten anderen um Haupteslänge überragte, stellte sich auf die Zehenspitzen und sah zum Fenster der Kapelle hinaus. Der Stall brannte lichterloh.
    »Feuer!«, sagte er, doch als er noch etwas hinzufügen wollte, ging seine Stimme im Chor zahlloser aufgeregter Rufe unter.
    Die Messe war mit einem Schlag vergessen. Alles strömte zum Ausgang. Tom hielt Martha zurück, weil er fürchtete, sie könnte sich in dem Gedränge verletzen, und befahl auch Alfred dazubleiben. Wo stecken nur Ellen und Jack, fragte er sich.
    Einen Augenblick später war die Kapelle bis auf sie drei und einen verärgerten Priester leer.
    Tom führte die Kinder hinaus. Einige Leute befreiten gerade die Pferde, um ihnen den Flammentod zu ersparen, andere waren zum Brunnen gelaufen und schöpften Löschwasser. Ellen war nirgendwo zu sehen. Von Panik ergriffen, jagten die freigelassenen Pferde über den Burghof, das Trommeln der Hufe auf dem Boden verursachte einen Höllenlärm. Tom runzelte die Stirn und hörte genau hin: Der Lärm war zu laut; es klang eher nach hundert Pferden als nach zwanzig oder dreißig. Eine furchtbare Vorahnung beschlich ihn. »Ihr zwei wartet hier«, sagte er zu den Kindern. »Alfred, du passt auf Martha auf.« Er selbst rannte den steilen Wall hinauf und kam, nach Luft ringend, oben an.
    Seine schlimmsten Befürchtungen wurden bestätigt, und kalte Todesangst ergriff sein Herz. Über die braunen Felder vor der Burg stürmte eine Streitmacht von vielleicht achtzig oder hundert hochgerüsteten Reitern heran. Der Anblick allein war furchterregend: Die Kettenhemden und die gezückten Schwerter schimmerten in der Morgensonne. Die Pferde liefen im gestreckten Galopp, aus ihren Nüstern wölkte heißer Atem. Die Reiter duckten sich, zu allem entschlossen, in ihren Sätteln. Man hörte keinerlei Anfeuerungsrufe oder Geschrei, allein das ohrenbetäubende Donnern der Hufe erfüllte die Luft.
    Tom drehte sich um und

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