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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Die Posten waren wachsam, ahnten jedoch nichts Böses. Sie trugen keine Rüstung. William und Walter hatten Kettenhemden unter ihre Umhänge gezogen.
    Williams Eingeweide schienen sich in Wasser aufgelöst zu haben. Er konnte nicht mehr schlucken. Einer der Wachposten erkannte ihn und grüßte ihn kumpelhaft: »Hallo, Lord William! Wieder auf Freiersfüßen, he?«
    »Oh, mein Gott!«, sagte William mit schwacher Stimme und hieb dem Posten seinen Dolch in den Leib. Die Klinge drang unterhalb des Brustkorbs in den Körper ein und fuhr aufwärts bis in die Herzgegend.
    Der Mann rang nach Luft, sackte zusammen und öffnete den Mund wie zum Schrei. Ein falsches Geräusch konnte alles verderben. William wusste nicht, was er tun sollte. In seiner Panik riss er den Dolch aus der Wunde und rammte ihn dem Mann tief in den geöffneten Rachen. Ein Blutstrom schoss hervor, aber der gefürchtete Schrei blieb aus. Die Augen des Mannes schlossen sich. William zog den Dolch wieder hervor, und der Posten stürzte zu Boden.
    Williams Pferd war, durch die plötzlichen Bewegungen erschreckt, ein paar Schritte zur Seite gewichen. William ergriff es am Zaumzeug und sah sich nach Walter um. Der hatte ›seinem‹ Mann fachkundig die Gurgel durchgeschnitten; der Posten war gestorben, ohne auch nur einen Mucks von sich zu geben. So muss ich’s auch machen, dachte William, das nächste Mal, wenn ich jemanden zum Schweigen bringen will … Dann überkam ihn ein Triumphgefühl: Ich habe es geschafft! Endlich habe ich eigenhändig einen Menschen getötet!
    Auf einmal war alle Angst verflogen.
    Er überließ Walter die Zügel seines Pferdes und rannte die Wendeltreppe zum Turm des Torhauses hinauf. Ganz oben befand sich die Winde, mit deren Hilfe die Zugbrücke hochgezogen werden konnte. Zwei Schwerthiebe genügten, um die Trosse zu kappen. Er warf das lose Ende zum Fenster hinaus; es fiel auf die Wallböschung und glitt nahezu lautlos in den Burggraben. Die Zugbrücke konnte Vaters Streitmacht jetzt nicht mehr den Weg versperren.
    Als Raymond und Rannulf gerade das Torhaus erreichten, kam William wieder die Treppe herunter. Ihre erste Aufgabe bestand darin, die riesigen, eisenbeschlagenen Eichenholztore, welche den Torbogen zwischen Brücke und vorderem Burghof verschlossen, zu demolieren. Sie zogen jeder einen Holzhammer und einen Meißel hervor und begannen, den Mörtel zu entfernen, der die gewaltigen eisernen Türangeln hielt.
    Die dumpfen Hammerschläge klangen in Williams Ohren furchtbar laut. Er schleifte rasch die beiden Toten in den Wachraum. Da die Burgbewohner noch immer bei der Frühmesse waren, bestand durchaus die Chance, dass die Leichen erst gefunden wurden, wenn alles bereits zu spät war.
    Er nahm die Zügel wieder an sich. Gemeinsam durchschritt er mit Walter den Torbogen und erreichte den Burghof. Gemessenen Schritts gingen sie auf den Stall zu. Es kostete William eine Menge Überwindung, sich den Anschein eines ganz normalen, ruhigen Besuchers zu geben. Verstohlen schielte er hinauf zu den Posten in den Wachtürmen. Hatte einer von ihnen vielleicht die Zugbrückentrosse in den Graben rutschen sehen? Kamen ihnen die Hammerschläge nicht merkwürdig vor? Einige Posten beobachteten William und Walter in der Tat, schienen sich aber nicht sonderlich über sie aufzuregen. Die Hammerschläge waren selbst für William kaum noch vernehmbar; dort oben in luftiger Höhe konnte man sie vermutlich gar nicht hören. William war erleichtert. Der Plan schien aufzugehen.
    Sie hatten den Stall erreicht, traten ein und hängten die Zügel ihrer Pferde locker über eine Stange, sodass sich die Tiere selbst befreien konnten. Dann zog William seinen Feuerstein aus der Tasche und schlug Funken, die das Stroh in Brand setzten. Da es mit Erde vermischt und ziemlich feucht war, begann es mancherorts nur zu glimmen; sie legten daher noch an verschiedenen Stellen Feuer. Die Pferde witterten den Rauch und wurden unruhig. William und Walter warteten noch, bis sie sicher waren, dass das Feuer sich von alleine weiterentwickeln würde. Bisher verlief alles genau nach Plan.
    Sie traten wieder ins Freie. Raymond und Rannulf waren im Schutze des Torbogens noch immer damit beschäftigt, die Türangeln freizuhämmern. William und Walter gingen jetzt auf die Küche zu; es sollte so aussehen, als hätten sie Hunger und wollten sich etwas zu essen holen. Von ihnen abgesehen, war der Burghof menschenleer: Alle Einwohner waren bei der Messe. Ein beiläufiger Blick

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