Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
blickte in den Burghof. Warum hörte nur er die anstürmende Armee? Weil die dicken Mauern der Burg den Hufschlag dämpften und im Burghof selbst die Hölle los war. Warum hatten die Wachhabenden nichts gesehen? Weil sie alle ihre Posten verlassen hatten, um bei den Löscharbeiten zu helfen. Hinter der Attacke steckte ein raffinierter Plan. Es war jetzt an Tom, Alarm zu schlagen.
Und wo war Ellen?
So sehr er sich auch bemühte, er konnte sie nirgends sehen. Große Teile des Burghofs waren jetzt von dickem weißem Rauch verhüllt. Graf Bartholomäus stand unweit des Brunnens und bemühte sich, eine Eimerkette zu organisieren. Tom rannte die Böschung hinunter, lief auf den Grafen zu und packte ihn rau an der Schulter. »Das ist ein Angriff!«, brüllte er ihm ins Ohr.
»Was?«
»Wir werden angegriffen!«
Der Graf war in Gedanken noch immer bei dem brennenden Stall.
»Angegriffen? Von wem?«
»So hört mir doch zu!«, schrie Tom. »Hundert Reiter stürmen auf die Burg zu!«
Jetzt endlich horchte der Graf auf. Das blasse Aristokratengesicht verriet auf einmal Furcht. »Habt Ihr sie gesehen?«
»Ja.«
»Wer … ach, egal! Hundert Reiter, sagt Ihr?«
»Ja, doch!«
Der Graf wandte sich von Tom ab und befahl seine Kommandanten herbei. »Peter! Ralph! Das ist ein Überfall, das Feuer ist nur ein Ablenkungsmanöver. Wir werden angegriffen.« Die beiden Männer erwiesen sich als ebenso begriffsstutzig wie ihr Befehlshaber. Dann hörten sie genauer hin und bekamen es mit der Angst zu tun. Der Graf schrie: »Sagt den Männern, sie sollen ihre Schwerter ergreifen! Und beeilt euch, um Gottes willen!« Er wandte sich wieder an Tom. »Kommt mit mir, Baumeister. Ihr seid stark. Wir können die Tore schließen.« Schon rannte er los, und Tom folgte ihm. Bei geschlossenen Toren und hochgeklappter Zugbrücke war man durchaus imstande, hundert Gegnern Paroli zu bieten.
Als sie das Torhaus erreichten, war die gegnerische Streitmacht durch den Bogen bereits zu erkennen. Sie war jetzt keine ganze Meile mehr von der Burg entfernt. Weil sich die schnellen Pferde mittlerweile abgesetzt hatten, zog sich die vordem geschlossene Truppe inzwischen etwas in die Länge.
»Die Tore – seht!«, brüllte der Graf.
Die beiden großen, eisenbeschlagenen Tore lagen flach auf dem Boden. Tom erkannte sofort, dass die Angeln aus der Mauer gemeißelt worden waren. Die Feinde hatten eine Vorhut eingeschleust, die ganze Arbeit geleistet hatte. Toms Magen verkrampfte sich vor Angst.
Er blickte zurück. Noch immer keine Spur von Ellen. Was war los mit ihr? Jetzt war alles möglich. Er musste zu ihr und sie beschützen.
»Die Zugbrücke!«, rief der Graf.
Der beste Schutz für Ellen bestand darin, dass man die Angreifer gar nicht erst in die Burg hereinließ. Der Graf rannte bereits die Wendeltreppe empor. Tom gab sich einen Ruck und folgte ihm. Wenn es gelang, die Zugbrücke hochzuziehen, konnte das Torhaus von wenigen Männern verteidigt werden. Doch als er den Raum mit der Winde erreichte, stockte ihm fast das Herz: Die Trosse war gekappt, die Brücke ließ sich nicht mehr hochziehen.
Graf Bartholomäus stieß einen bitteren Fluch aus. »Wer immer diesen Überfall geplant hat … Der Bursche ist schlau wie Luzifer.«
Tom machte eine andere Überlegung zu schaffen: Wer immer die Tore demoliert, die Brückentrosse gekappt und den Stall in Brand gesetzt hatte, befand sich längst innerhalb der Burg. Angstvoll sah er sich um. Wo mochten sich die Eindringlinge verborgen halten?
Der Graf äugte durch eine Schießscharte. »O Gott, sie sind gleich hier!«, stöhnte er und rannte die Treppe hinunter.
Tom folgte ihm auf dem Fuße. Im Torbogen waren mehrere Ritter versammelt, die sich hastig ihre Schwerter umschnallten und die Helme aufsetzten. Graf Bartholomäus erteilte Befehle. »Ralph und John, treibt ein paar Pferde auf die Brücke, auf dass sie dem Feind den Weg versperren. Richard, Peter und Robin – holt Verstärkung, und haltet hier die Stellung! Ihr, Baumeister, sammelt das Gesinde und die Kinder, und schickt sie über die Brücke in den oberen Burghof!«
Tom war’s zufrieden: Endlich hatte er einen Vorwand, um nach Ellen zu suchen. Als Erstes rannte er zur Kapelle. Alfred und Martha warteten noch immer dort, wo er sie zurückgelassen hatte. Sie hatten Angst. »Zum Wohnturm, schnell!«, rief er ihnen zu. »Und heißt alle Frauen und Kinder, die ihr seht, euch folgen – auf Befehl des Grafen!«
Die Kinder stürmten davon. Auch er
Weitere Kostenlose Bücher