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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Grafen Bartholomäus lag.
    William hatte bei seinem Besuch versäumt, die genaue Zahl der auf der Burg versammelten kampffähigen Männer festzustellen. Trotz seiner Beteuerung, dass viele von ihnen Kuriere waren, die noch am gleichen Tag ausgeschickt wurden, und dass eine verlässliche Zählung daher ohnehin nicht möglich gewesen wäre, hatte ihm diese Unterlassung eine gnadenlose Abfuhr seitens seiner Mutter eingetragen. Immerhin hatte er sich auf eine Schätzung eingelassen; etwa vierzig Mann. Wenn sich diese Zahl in den wenigen seither verflossenen Stunden nicht allzu sehr verändert hatte, konnten die Hamleighs mit einer Überlegenheit von mehr als zwei zu eins rechnen.
    Für eine Belagerung der Burg reichte ihre Streitmacht natürlich bei Weitem nicht aus. Sie hatten sich deshalb einen Plan ausgedacht, der eine erheblich schnellere Eroberung der Burg vorsah. Das Hauptproblem bestand darin, dass jede heranrückende Truppe von den Wachposten auf den Türmen frühzeitig erspäht werden konnte, was zwangsläufig die sofortige Schließung der Burg zur Folge haben würde. Genau dies galt es also zu verhindern: Wenn die Streitmacht ihre Schlupfwinkel in den Wäldern verließ und über das freie Vorfeld zum Sturm auf die Burg antrat, durfte niemand mehr die Zugbrücken hochziehen und die Tore schließen.
    Es war natürlich Mutter Hamleigh gewesen, die des Rätsels Lösung gefunden hatte.
    »Wir brauchen eine Ablenkung«, hatte sie gesagt und sich dabei einen dicken Pickel an ihrem Kinn aufgekratzt. »Sie müssen regelrecht in Panik verfallen, sodass sie die Truppe erst bemerken, wenn es bereits zu spät ist. Wie wär’s mit einem Feuer?«
    »Wenn da plötzlich ein Fremder kommt und Feuer legt, sind sie doch alle gewarnt«, hielt Vater Hamleigh dagegen.
    »Er darf sich halt nicht erwischen lassen«, meinte William.
    »Das versteht sich von selbst«, fuhr Mutter ungeduldig dazwischen und sagte, an ihren Sohn gewandt: »Du musst es während der Frühmesse tun.«
    »Ich?«, hatte William gefragt.
    Er war justament zum Befehlshaber der Vorhut ernannt worden.
    Langsam, sehr langsam kroch die Morgendämmerung über den Horizont. William fieberte vor Unruhe. Sie hatten ihren Plan im Laufe der Nacht noch ein wenig ausgefeilt. Dennoch gab es noch eine Menge Unwägbarkeiten: Vielleicht kommen wir aus unvorhersehbaren Gründen gar nicht in die Burg hinein, dachte er. Oder man schöpft Verdacht und beobachtet uns, sodass wir den Anschlag nicht ausführen können. Oder man setzt uns sogar gefangen … Und selbst, wenn alles nach Plan verläuft, wird es zum Kampf kommen – zu meiner ersten richtigen Schlacht! Es wird Verwundete und Tote geben, und wenn ich Pech habe, erwischt es mich auch …
    Die Angst zog ihm die Eingeweide zusammen. Aliena ist dort, und wenn wir in die Flucht geschlagen werden, wird sie es miterleben. Umgekehrt wird sie auch unseren Triumph mit ansehen müssen … Er sah sich schon mit blutverschmiertem Schwert in ihr Schlafgemach stürmen. Da wird auch sie bereuen, dass sie mich ausgelacht hat …
    In der Burg bimmelte die Glocke zur Frühmesse. William nickte, und zwei Männer aus der Truppe verließen die Deckung und schritten über das freie Feld auf die Burg zu. Es waren Raymond und Rannulf, zwei starke Kerle mit harten Zügen und harten Muskeln, beide um einige Jahre älter als William. Sie waren von ihm persönlich für diese Aufgabe ausgewählt worden, denn sein Vater, der die Attacke der Hauptstreitmacht führen würde, hatte ihm freie Hand gelassen.
    William sah Raymond und Rannulf nach, die in schnellem Schritt das gefrorene Feld überquerten. Bevor sie die Burg erreichten, wechselte er einen Blick mit Walter und trat seinem Pferd in die Flanken. Im Trab setzten sie den anderen nach. Die Wachposten auf den Türmen sahen nun im ersten Morgenlicht zwei getrennte Paare auf die Burg zukommen, das eine zu Fuß, das andere zu Pferde. Nichts konnte harmloser erscheinen …
    Williams Schätzung stimmte: Er und Walter überholten Raymond und Rannulf ungefähr hundert Schritt vor dem Eingang zur Burg. An der Brücke saßen sie ab. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Wenn er jetzt versagte, war der gesamte Angriffsplan zum Scheitern verurteilt.
    Das Tor war mit zwei Wachposten besetzt. William war besessen von der albtraumhaften Vorstellung, sie könnten in einen Hinterhalt geraten sein … Schon sah er ein Dutzend Bewaffnete aus ihren Verstecken stürmen und spürte, wie sie ihn in Stücke hackten …

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