Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
eingezogenem Kopf kroch er hindurch. Hitze und Rauch erfüllten den Dachstuhl. Die höheren Dachsparren standen alle in Flammen, und auch einige der großen Balken hatten Feuer gefangen. Ein beißender Geruch nach brennendem Pech hing in der Luft. Jack musste husten. Er zögerte nur einen Augenblick, dann betrat er einen der Querbalken, die das Mittelschiff überspannten, und ging los. Binnen kürzester Zeit war er schweißüberströmt, und seine Augen tränten so sehr, dass er kaum noch etwas sehen konnte. Als ihn ein unerwartet heftiger Hustenanfall überfiel, geriet er ins Stolpern. Sein rechter Fuß rutschte ab, stieß auf den Boden – und brach, ohne auf starken Widerstand zu stoßen, durch die morsche Holzdecke. Namenloses Entsetzen ergriff den Jungen. Schon sah er sich zappelnd und zeternd in die Tiefe stürzen, Kapriolen schlagend wie zuvor der brennende Balken, dessen Fall er beobachtet hatte. Er schrie auf, taumelte mit ausgestreckten Armen vorwärts … Doch das Holz hielt.
Er war vor Schreck wie gelähmt. Die Hände und das linke Knie trugen sein Gewicht, der rechte Fuß steckte noch im Loch. Erst die schier unerträgliche Hitze ließ Jack wieder zu sich kommen. Vorsichtig befreite er seinen Fuß und kroch auf allen vieren weiter.
Er hatte die andere Seite fast erreicht, als mehrere schwere Balken zusammenbrachen und hinabstürzten. Das ganze Gebäude schien zu schwanken, und der Balken unter Jack zitterte wie eine Bogensehne. Der Junge hielt inne und klammerte sich fest. Das Beben legte sich. Jack kletterte weiter und erreichte kurz darauf die Laufplanke auf der Nordseite.
Wenn ihn seine Vermutung trog und es keinen Durchgang zum ehemaligen Nordwestturm gab, musste er auf dem gleichen Weg zurück, auf dem er gekommen war.
Er richtete sich auf. Kalte Nachtluft wehte ihn an. Irgendwo musste ein Spalt sein. Aber war er groß genug?
Drei Schritte weiter in westlicher Richtung blieb Jack stehen. Noch einen Schritt, und er wäre ins Nichts gestürzt.
Vor ihm gähnte ein großes Loch und gab den Blick auf die vom Mondlicht beschienene Turmruine frei. Jack atmete tief durch. Das Inferno lag hinter ihm.
Aber er befand sich sehr hoch oben. Auf Dachhöhe. Tief unten – zum Springen viel zu weit – war der Gipfel des Trümmerhaufens zu erkennen. Dem Feuer bin ich vorerst entkommen, dachte er – doch wie komme ich da runter, ohne mir den Hals zu brechen? Hinter dem Jungen wogte ein Flammenmeer, und aus der Maueröffnung, in der er stand, wölkte dichter Rauch.
Auch der eingefallene Turm war vormals mit einer Holztreppe versehen gewesen, die jedoch beim Einsturz zum größten Teil mit heruntergerissen worden war. Und jene Stellen, wo die Stufen in die Mauer eingelassen und mit Mörtel befestigt waren, maßen nicht mehr als ein oder zwei Zoll. Jack fragte sich, ob er es schaffen würde; gefährlich war es auf jeden Fall. Ein beißender Geruch stieg ihm in die Nase: Sein Umhang wurde langsam heiß und würde bald Feuer fangen. Er hatte keine andere Wahl.
Er setzte sich hin und tastete mit dem Fuß nach dem ersten Stumpf. Dann drehte er sich um, hielt sich mit beiden Händen fest und belastete die ungewöhnliche Stufe. Sie hielt. Auch die nächste war stabil. Die dritte kam ihm dagegen ziemlich locker vor. Mit beiden Händen klammerte er sich an die vorige und verstärkte langsam den Druck. Er musste damit rechnen, im nächsten Augenblick ohne Fußhalt an der Mauer zu baumeln. Aber es ging noch einmal gut, und mit jedem Schritt kam er der Spitze des Trümmerhaufens näher.
Weiter unten wurden die abgebrochenen Reste der Stufen immer kleiner, als ob die Wucht des Einsturzes hier noch stärker gewesen wäre. Jack erreichte einen Stumpf, der, wie er durch den Filzstiefel hindurch fühlte, gerade so breit war wie sein großer Zeh. Als er sein Gewicht darauf verlagerte, rutschte sein Fuß ab. Der andere Fuß befand sich noch auf einer breiteren Stufe, die der plötzlichen Belastung durch Jacks volles Gewicht nicht gewachsen war und brach. Vergeblich versuchte der Junge, mit den Händen irgendwo Halt zu finden – die Stümpfe waren alle viel zu klein. Er fiel in die Tiefe.
Er landete hart auf Händen und Knien, genau auf dem Gipfel des Trümmerhaufens. Entsetzt, wie er war, glaubte er, dies wäre nun das Ende und er sei tot. Erst nach einer Weile dämmerte ihm, dass er unwahrscheinliches Glück gehabt hatte. Seine Hände schmerzten, und er hatte sich übel die Knie aufgeschlagen – doch ansonsten hatte
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