Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
die Augen. »Gelegentlich kommt die Weisheit nie.«
Die Mönche lachten über diese Schlagfertigkeit. Dass die Antwort ausgerechnet von dem alten Paul kam, dem man so etwas nie zugetraut hätte, machte die Sache nur noch komischer. Philip sah sich gezwungen, den Ungehaltenen zu spielen. Er klatschte in die Hände und gebot Schweigen. »Genug!«, sagte er. »Mit solchen Dingen spaßt man nicht. Ich werde die Frau befragen. Brechen wir nun auf und widmen wir uns wieder unseren Pflichten. Wer von der Arbeit entschuldigt werden möchte, begebe sich in die Krankenstube zu Gebet und Meditation. Die anderen kommen mit mir.«
Er verließ den Lagerraum und ging mit den Mönchen im Gefolge zum Kreuzgang. Nur einige wenige Mitbrüder – darunter Remigius und Sakristan Andrew – setzten sich ab und gingen zur Krankenstube. Die beiden kommen mir weder krank noch gebrechlich vor, dachte Philip, war aber andererseits ganz froh, dass die notorischen Unruhestifter sich entfernten.
Unter Toms Leitung hatten ein paar Klosterbedienstete bereits mit den Aufräumungsarbeiten begonnen. Der Baumeister selbst stand auf dem Schutthaufen im Kreuzgang und schrieb mit einem großen Stück Kreide den Buchstaben ›T‹ auf verschiedene Trümmersteine.
Zum ersten Mal in seinem Leben stellte Philip sich die Frage, wie sich so schwere Steinbrocken überhaupt aus dem Weg schaffen und abtransportieren ließen. Viele von ihnen waren so groß, dass niemand sie auch nur anzuheben vermocht hätte. Er brauchte nicht lange auf eine Antwort zu warten: Ein Stein wurde auf zwei nebeneinander liegende Balken gerollt und von zwei Männern fortgetragen. Gewiss hatte Tom Builder ihnen gezeigt, wie man es anstellte.
Die Arbeit ging zügig voran, da die meisten der sechzig Klosterbediensteten mit anpackten. Ein ununterbrochener Strom von Menschen trug Steine fort und kam mit leeren Händen zurück, um neue zu holen. Der Anblick gab Philip Mut, und er sandte ein stummes Stoßgebet zum Himmel, in dem er dem Herrn für Tom Builder dankte.
Tom erblickte den Prior und kletterte vom Schutthaufen. Bevor er sich an Philip wandte, sagte er zu einem der Bediensteten (es war der Schneider, der die Mönchskutten nähte): »Sagt den Brüdern, dass sie Euch beim Forttragen der Steine helfen sollen. Aber gebt acht, dass sie nur die von mir markierten Brocken nehmen – sonst kann es passieren, dass der Haufen ins Rutschen kommt und jemanden erschlägt.« An Philip gewandt, fuhr er fort: »Ich habe genügend markiert – damit sind sie eine Zeit lang beschäftigt.«
»Wohin werden die Steine gebracht?«, fragte Philip.
»Kommt mit, ich zeig’s Euch. Ich wollte ohnehin schauen, ob sie sie richtig stapeln.«
Die beiden gingen los. Die Steine wurden an der Ostseite des Klostergeländes aufgeschichtet. »Eine Reihe von Bediensteten kann ich leider nicht freistellen«, sagte Philip. »Sie sind unabkömmlich. Die Stallknechte müssen sich um die Pferde kümmern, die Köche ums Essen, wir brauchen auch jemanden, der Feuerholz sammelt, die Hühner müssen gefüttert werden und so weiter. Überarbeiten tut sich dabei keiner. Die Hälfte könnt Ihr haben. Dazu kommen noch etwa dreißig Mönche.«
Tom nickte. »Das wird genügen.«
Die Männer stapelten die noch warmen Steine an der Ostmauer des Klostergeländes, nur wenige Schritt vom Hospital und dem Haus des Priors entfernt. »Wir müssen die alten Steine für den Neubau aufbewahren«, sagte Tom. »Für die Wände lassen sie sich nicht mehr gebrauchen, dazu sind sie zu verwittert. Aber für die Fundamente taugen sie allemal. Und die zerbrochenen Steine lassen sich auch noch verwenden. Mit Mörtel vermischt schütten wir sie als Füllung in den Hohlraum zwischen äußerer und innerer Mauerwand.«
»Ich verstehe«, sagte der Prior und sah zu, wie der Baumeister die Leute anwies, die Steine so zu schichten, dass der entstehende Haufen nicht wieder einstürzen konnte. Ohne Toms Rat und Erfahrung läuft hier gar nichts, dachte Philip, das steht schon jetzt fest.
Als Tom mit der Arbeit der Männer zufrieden war, nahm Philip ihn beim Arm und führte ihn zum Gräberfeld im Norden der Kirche. Der Regen hatte aufgehört, doch waren die Grabsteine noch feucht. Mönche wurden auf der Ostseite des Friedhofs, Dorfbewohner auf der Westseite bestattet. Philip und Tom blieben vor der Ruine des nördlichen Querhauses stehen, welche die beiden Abteilungen des Gräberfelds voneinander trennte. Ein schwacher Sonnenstrahl durchbrach die
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