Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Wolken. Im hellen Licht des Tages wirkte das geschwärzte Gebälk des Dachstuhls nicht mehr ganz so unheimlich. Philip schämte sich jetzt fast, dass er noch während der Nacht geglaubt hatte, einen Teufel zu sehen.
»Einige meiner Mitbrüder haben gewisse Vorbehalte dagegen, dass eine Frau auf dem Gelände des Klosters leben wird.« Toms erschrockener Blick verriet mehr als bloße Beunruhigung. Er hat Angst, dachte Philip, er ist fast außer sich … Er muss die Frau wirklich sehr lieben. Hastig sprach er weiter. »Ich hingegen möchte es Euch nicht zumuten, irgendwo im Dorf mit einer anderen Familie die Hütte zu teilen. Um Ärger zu vermeiden, wäre es allerdings ratsam, wenn Euer Weib sich vorsichtig verhalten würde. Sagt ihr, sie möge sich von den Mönchen möglichst fernhalten, vor allem von den jüngeren. Wenn sie auf dem Klostergelände herumläuft, soll sie ihr Antlitz verhüllen. Vor allem aber darf sie nichts tun, was dazu angetan wäre, sie in den Verdacht der Hexerei zu bringen.«
»Es wird so sein, wie Ihr es wünscht«, sagte Tom mit fester Stimme, die nicht so recht zu seinem Aussehen passen wollte. Philip wusste, dass das Weib des Baumeisters eine gescheite Frau war, die durchaus ihre eigene Meinung hatte. Besonders begeistert wird sie über diese Verhaltensvorschriften nicht sein, dachte er. Andererseits – gestern ging diese Familie noch am Bettelstab. Da steht wohl zu erwarten, dass sie die Einschränkungen als kleinen Preis für Obdach und Sicherheit akzeptieren wird.
Sie setzten ihren Weg fort. In der Nacht hatte Philip in der Zerstörung der Kirche noch eine übernatürliche Tragödie gesehen, eine furchtbare Niederlage für die Kräfte des Fortschritts und die Verteidiger des wahren Glaubens, einen schweren Schlag gegen sein persönliches Lebenswerk. Inzwischen sah er darin nur mehr ein Problem, das zu lösen ihm aufgegeben war – ein gewaltiges Problem, gewiss, dessen Ausmaße einen erblassen lassen konnten, aber eben doch kein übermenschliches mehr. Den Wandel verdankte er im Wesentlichen Tom. Philip empfand große Dankbarkeit gegenüber dem Baumeister.
Sie erreichten die Westseite der Ruine. Vor dem Stall wurde gerade ein schnelles Pferd gesattelt. Wer tritt denn heute eine Reise an, dachte der Prior, ausgerechnet heute? Er ließ Tom zum Kreuzgang zurückkehren und ging selbst zum Stall, um sich die Sache näher anzusehen.
Er fand schnell heraus, wer sich das Pferd hatte satteln lassen. Es war Alan, der junge Mitbruder und Helfer des Sakristans, der die Truhe mit dem Klosterschatz aus dem Kapitelhaus geborgen hatte.
»Und wohin führt dich dein Weg, mein Sohn?«, fragte Philip.
»Zum Palast des Bischofs«, gab Alan zur Antwort. »Bruder Andrew schickt mich, Kerzen, Weihwasser und die Hostie zu holen, alldieweil wir bei dem Brand alles verloren haben und sobald wie möglich wieder einen geregelten Gottesdienst abhalten wollen.«
Das klang durchaus vernünftig. All diese Dinge waren in einer verschlossenen Kiste im Chor aufbewahrt gewesen und mit Sicherheit verbrannt. Es freute Philip, dass der Sakristan so schnell an die Erneuerung der Utensilien dachte. »Sehr gut«, sagte er zu Alan. »Aber warte noch ein Weilchen. Nimm bitte noch einen Brief an Bischof Waleran mit.« Dank seiner raffinierten, wenngleich nicht gerade sehr reputierlichen Winkelzüge war der durchtriebene Waleran inzwischen designierter Bischof. Philip konnte ihm die zugesagte Unterstützung nicht mehr entziehen und war daher verpflichtet, ihn ab sofort als Bischof zu behandeln. »Ich muss ihm von dem Brand berichten.«
»Ja, Vater«, erwiderte Alan. »Nur – ich habe schon einen Brief an den Bischof. Von Remigius.«
»Ach so!« Philip war überrascht. Das ist ja recht kühn von Remigius, dachte er und sagte: »Wohlan denn! Reite mit Umsicht – und der Herr sei mit dir!«
»Danke, Vater.«
Philip ging zur Kirche zurück. Remigius hatte es ja sehr eilig – und der Sakristan nicht minder! Warum nur? Philip fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Ob Remigius wirklich nur über den Brand der Kathedrale berichtet hat? Oder steht in dem Brief noch etwas anderes?
Auf halbem Wege blieb Philip stehen und drehte sich um. Als Prior stand ihm durchaus das Recht zu, Alan den Brief wegzunehmen und ihn zu lesen. Aber es war bereits zu spät: Alan trabte gerade zum Tor hinaus. Philip starrte ihm nach. In diesem Augenblick sah er das Weib des Baumeisters aus dem Gästehaus kommen. Sie trug einen Korb, der
Weitere Kostenlose Bücher