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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Jack brach in Tränen aus.
    Martha sah ihn mitleidvoll an, aber Mitleid war jetzt das Letzte, was Jack wollte. Er fühlte sich zutiefst erniedrigt. Er ging fort, und als Martha Anstalten traf, ihm zu folgen, drehte er sich um und sagte zu ihr: »Verschwinde!« Martha zuckte zusammen und blieb stehen. Kurz darauf war er allein.
    Er ging auf die Ruine zu und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht. In seinem Herzen keimten Mordgedanken. Ich habe die Kathedrale zerstört, dachte er. Ich bin auch fähig, Alfred umzubringen.
    Das Gelände um die Kirchenruine wurde gefegt und geputzt. Jack erinnerte sich, dass der Besuch eines kirchlichen Würdenträgers angesagt war; der Mann kam, um den entstandenen Schaden zu besichtigen.
    Alfreds körperliche Überlegenheit war das Hauptproblem – es war zum Verrücktwerden. Bloß weil er so groß und stark war, konnte er sich das alles herausnehmen. Ziellos strich Jack umher. Er kochte vor Wut und bedauerte es aufrichtig, dass Alfred damals, als all diese Steine herunterfielen, nicht in der Kirche gewesen war.
    Dann entdeckte er den Bösewicht. Alfred befand sich im nördlichen Querhaus und schaufelte Steinschutt auf einen Karren. Sein Gesicht war grau vor Staub. Nicht weit von dem Karren entfernt ragte ein Balken aus dem Schutt, der den Sturz vom Dach fast unbeschadet überstanden hatte. Er war lediglich etwas angesengt und rußgeschwärzt. Mit dem Finger fuhr Jack über die Oberfläche. Ein weißer Strich entstand. Plötzlich hatte er eine Idee: »Alfred ist ein Schwein«, schrieb er in den Ruß.
    Einige Arbeiter wurden auf ihn aufmerksam. Es überraschte sie, dass der kleine Junge schreiben konnte. Ein junger Mann fragte ihn: »Was heißt das?«
    »Fragt Alfred«, erwiderte Jack.
    Alfred stierte auf das Geschriebene und runzelte ärgerlich die Stirn. Seinen Namen konnte er entziffern – aber das war auch schon alles. Er wusste, dass es sich um eine Beleidigung handeln musste, konnte aber nicht genau sagen um welche, und das allein war schon demütigend genug und wurmte ihn furchtbar. Jacks Zorn legte sich dagegen ein wenig. Alfred sah einfach zu dämlich aus! Größer mag er ja sein, dachte der Junge, aber gescheiter bin ich.
    Noch immer wusste niemand, was die Worte im Ruß bedeuteten. Da kam zufällig ein Novize vorbei, las sie und lächelte. »Wer ist Alfred?«, fragte er.
    »Der da«, sagte Jack und wies mit dem Daumen auf seinen Widersacher. Alfred wurde immer wütender. Da er aber nicht wusste, wie er sich verhalten sollte, stützte er sich linkisch auf seine Schaufel und blickte dumm aus der Wäsche.
    Der Novize lachte. »Ein Schwein, wie? Wonach gräbt er denn? Nach Eicheln?«
    »Wahrscheinlich«, sagte Jack, froh darüber, einen Verbündeten gefunden zu haben.
    Alfred ließ die Schaufel fallen und versuchte, Jack zu packen. Aber der Junge war auf der Hut. Wie der Blitz fegte er davon. Offenbar um Ausgewogenheit bemüht, stellte der Novize ihm ein Bein, doch Jack sprang leichtfüßig darüber hinweg. So schnell er konnte, rannte er über das Gelände der ehemaligen Apsis, umkurvte Schutthaufen und sprang über am Boden liegende Dachsparren. Hinter sich hörte er die schweren Schritte und den grunzenden Atem Alfreds, der ihm dicht auf den Fersen war. Seine Angst lieh seinen Füßen Flügel.
    Einen Augenblick später fiel ihm siedend heiß ein, dass er den falschen Weg eingeschlagen hatte. Auf dieser Seite der Ruine gab es kein Entkommen. Er verlor den Mut. Das wird diesmal verdammt wehtun, dachte er.
    Die obere Hälfte des Ostflügels war eingestürzt, und der Schutt türmte sich vor dem stehen gebliebenen Mauerrest. Da ihm kein anderer Ausweg offenstand, kletterte Jack hurtig den Trümmerhaufen empor. Oben angekommen, spähte er über die Mauer. Vor ihm gähnte ein ungefähr fünfzehn Fuß tiefer Abgrund – bei Weitem zu tief, um ohne Risiko hinunterzuspringen. Er schwankte. Alfred hatte ihn fast erreicht, schon langte er nach Jacks Knöchel. Der Junge verlor das Gleichgewicht. Einen Augenblick lang stand er mit einem Fuß in der Luft auf der Mauerkrone und ruderte wie wild mit den Armen, während Alfred seinen Knöchel umklammerte. Dann spürte Jack, dass er sich nicht mehr halten konnte. Alfred riss noch einmal heftig an seinem Knöchel und ließ dann los. Jack stürzte ab und war während des Falls nicht einmal mehr imstande, die Füße nach unten zu bringen. Er hörte sich schreien und landete auf der linken Körperseite. Der Aufprall war

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