Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
würde ein vorzüglicher Eindruck entstehen.
Mit der Wiederaufnahme der Gottesdienste verlor Tom einen Großteil seiner Mitarbeiter. Die meisten Mönche würden von nun an wieder ihre gewohnten Riten pflegen und zu ihren angestammten Arbeiten in Landwirtschaft und Klosterverwaltung zurückkehren. Ungefähr die Hälfte der weltlichen Klosterbediensteten verblieb ihm. Prior Philip verfocht ihnen gegenüber eine harte Linie: Da er ohnehin glaubte, es seien ihrer zu viele, hatte er alle, die sich über die Versetzung aus Stall oder Küche beklagten, vor die Wahl gestellt, entweder zu gehorchen oder zu gehen. Ein paar waren gegangen, die meisten hatten sich jedoch gefügt.
Die Priorei schuldete Tom inzwischen bereits drei Wochenlöhne. Da einem Baumeister vier Pence pro Tag zustanden, belief sich die Summe mittlerweile auf zweiundsiebzig Pence und erhöhte sich von Tag zu Tag. Tom hatte vor, den Prior nach einem halben Jahr um Bezahlung zu bitten. Die Schuld würde mithin zweieinhalb Pfund Silber betragen – und diese Summe musste Philip erst einmal aufbringen, bevor er Tom entlassen konnte. So verliehen seine Rückstände dem Baumeister ein Gefühl der Sicherheit.
Es bestand sogar die entfernte Möglichkeit, dass er sich nie wieder im Leben eine andere Stelle würde suchen müssen. Tom wagte kaum, daran zu denken. Immerhin handelte es sich um eine Bischofskirche, eine Kathedrale. Wenn man sich zuständigenorts für die Errichtung eines repräsentativen Neubaus aussprach und die erforderlichen Gelder aufbrachte, dann konnte Kingsbridge durchaus zur größten Baustelle des Königreichs werden und auf Jahrzehnte hinaus Dutzenden von Steinmetzen Arbeit und Brot geben.
Aber das war weit mehr, als man erhoffen konnte. In Gesprächen mit Mönchen und Dorfbewohnern hatte Tom erfahren, dass die Kathedrale von Kingsbrigde nie sehr bedeutend gewesen war. Verborgen in ländlicher Einsamkeit und über mehrere Generationen von Bischöfen beherrscht, die es an jedem Ehrgeiz fehlen ließen, war der langsame Niedergang gar nicht mehr zu verkennen. Die Priorei war ebenso arm wie unscheinbar. Es gab Klöster, die durch üppige Gastfreundschaft, glänzende Schulen, umfangreiche Bibliotheken oder hervorragende philosophische Leistungen ihrer Prioren und Äbte die Aufmerksamkeit von Königen und Erzbischöfen auf sich zu ziehen wussten. Nichts dergleichen traf auf Kingsbridge zu. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde Prior Philip sich mit einer kleinen, einfach gebauten und bescheiden ausgestatteten Kirche zufriedengeben müssen, deren Errichtung allenfalls zehn Jahre in Anspruch nehmen würde.
Doch selbst damit wäre Tom hochzufrieden gewesen. Er hatte, noch ehe die von Feuer geschwärzten Ruinen erkaltet waren, seine Chance erkannt: Hier würde er eine Kathedrale errichten – oder nirgends.
Prior Philip war längst davon überzeugt, dass Tom Builder vom lieben Gott persönlich nach Kingsbridge entsandt worden war. Tom wusste, dass er mit der gelungenen Organisation der Aufräumungsarbeiten und seiner wertvollen Hilfe bei der Normalisierung des klösterlichen Lebens Philips Vertrauen gewonnen hatte. Nun kam es darauf an, den richtigen Augenblick für ein erstes Gespräch über die Planung des Neubaus abzupassen. Wenn ich keinen Fehler mache, dachte er, wird der Prior mich mit der Erstellung der Pläne beauftragen. Gerade die Tatsache, dass die neue Kirche vermutlich eher bescheiden ausfallen würde, sprach für Tom – bei einem größeren Bauwerk war eher damit zu rechnen, dass man sich an einen erfahrenen Dombaumeister wandte. Tom war voller Hoffnung.
Die Glocke rief zur Kapitelversammlung und bedeutete den Arbeitern, dass sie sich zum Frühstück begeben durften. Tom verließ die Krypta und ging zum Refektorium. Unterwegs begegnete ihm Ellen.
Wutentbrannt trat sie ihm in den Weg, als wollte sie ihn keinen Schritt weitergehen lassen. In ihren Augen lag ein Blick, der nichts Gutes verhieß. Martha und Jack begleiteten sie. Ellens Sohn war übel zugerichtet: Ein Auge war geschlossen, die linke Gesichtshälfte stark geschwollen und durch Aufschürfungen entstellt. Aus seiner schiefen Haltung ließ sich schließen, dass er das linke Bein nicht belasten konnte. Tom tat der kleine Kerl furchtbar leid. »Was ist denn mit dir passiert?«, fragte er.
»Das war Alfred«, sagte Ellen.
Tom stöhnte innerlich auf. Einen Moment lang schämte er sich seines Sohnes, der so viel größer und stärker war als Jack. Aber Jack war auch kein
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