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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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furchtbar. Ein böser Zufall wollte es zudem, dass sein Gesicht auf einem Stein aufschlug.
    Ihm wurde schwarz vor Augen.
    Als er wieder zu sich kam und die Lider öffnete, stand Alfred direkt über ihm – er musste irgendwo einen Abstieg gefunden haben. Neben Alfred befand sich ein älterer Mönch. Jack kannte ihn; es war Remigius, der Subprior. Remigius blickte ihn an und sagte: »Steh auf, Bursche!«
    Jack wusste nicht, ob er es schaffen würde. Er konnte seinen linken Arm nicht bewegen, und seine linke Gesichtshälfte fühlte sich taub an. Er setzte sich auf. Er hatte mit dem Schlimmsten gerechnet und wunderte sich daher, dass er sich überhaupt rühren konnte. Mit dem rechten Arm stemmte er sich hoch. Unter großen Schmerzen, und indem er so viel Gewicht wie möglich auf sein rechtes Bein verlagerte, gelang es ihm, sich zu erheben. In seinem Gesicht wich die Taubheit dem Schmerz.
    Remigius ergriff ihn am linken Arm. Es tat entsetzlich weh, und Jack schrie auf. Remigius ging darauf nicht ein. Er packte Alfred am Ohr. Wahrscheinlich werden wir jetzt ganz schlimm bestraft, dachte Jack, doch die Schmerzen waren so stark, dass ihm alles andere gleichgültig war.
    »Nun, Kerl«, sagte Remigius zu Alfred, »sag mir mal, warum du versuchst, deinen Bruder umzubringen.«
    »Das ist nicht mein Bruder!«, erwiderte Alfred.
    Remigius’ Ausdruck veränderte sich. »Nicht dein Bruder?«, fragte er. »Habt ihr etwa nicht dieselben Eltern?«
    » Sie ist nicht meine Mutter!«, rief Alfred aus. »Meine Mutter ist tot.«
    Ein listiges Lächeln huschte über das Gesicht des Subpriors.
    »Wann ist deine Mutter denn gestorben?«
    »An Weihnachten.«
    » Letzte Weihnachten?«
    »Ja.«
    Trotz seiner Schmerzen bemerkte Jack die auffallende Neugier des Subpriors. Wieso interessiert ihn das nur so, fragte er sich. Mit vor Aufregung zitternder Stimme setzte Remigius seine Befragung fort.
    »So hat dein Vater die Mutter dieses Knaben hier erst kürzlich kennengelernt, wie?«
    »Ja.«
    »Und sind die beiden, seitdem sie … zusammen sind, schon bei einem Priester gewesen, um sich nach Recht und Sitte trauen zu lassen?«
    »Ich … äh … ich weiß nicht«, stotterte Alfred. Er versteht die Worte gar nicht, die der Mönch benutzt, dachte Jack. Er verstand sie allerdings selber nicht.
    »Je nun!«, sagte Remigius ungeduldig. »Ich meine: Gab es eine Hochzeitsfeier?«
    »Nein.«
    »Ich verstehe.« Der Subprior schien mit dieser Antwort rundum zufrieden, obgleich Jack eher mit dem Gegenteil gerechnet hätte. Einen Augenblick lang dachte der Mönch nach und sagte kein Wort. Dann schien er sich der beiden Knaben wieder zu erinnern. »Also, ihr zwei«, sagte er. »Wenn ihr weiterhin hier in der Priorei leben und das Brot der Mönche essen wollt, dann streitet euch nicht mehr so hässlich – selbst, wenn ihr keine Brüder seid. Wir Diener Gottes dürfen kein Blutvergießen sehen – das ist einer der Gründe dafür, dass wir ein zurückgezogenes, weltabgeschirmtes Leben führen.« Mit dieser kleinen Mahnrede gab Remigius die beiden frei und ging seiner Wege.
    Und endlich konnte Jack zu seiner Mutter laufen.
    Es dauerte drei, nicht zwei Wochen, bis Tom und seine Helfer die Krypta so weit hergerichtet hatten, dass sie sich als behelfsmäßige Kirche benutzen ließ. Waleran, der designierte Bischof, hatte sein Kommen angekündigt und wollte die erste Messe lesen. Der Kreuzgang war von allem Schutt befreit, und Tom hatte die beschädigten Partien ausgebessert. Kreuzgänge waren vom Baulichen her recht einfach, nichts weiter als überdachte Gassen; die Arbeit war ihm leichtgefallen. Davon abgesehen bildete die Kathedrale über weite Strecken nach wie vor den Anblick eines Trümmerfelds. An manchen der noch stehenden Mauern bestand Einsturzgefahr. Zwischen dem Kreuzgang und den Treppen zur Krypta hatte Tom jedoch durch das ehemalige nördliche Querschiff einen gut begehbaren Gang freischaufeln lassen.
    Tom sah sich um. Mit ihren annähernd fünfzig Quadratfuß Grundfläche bot die Krypta ausreichend Platz für die klösterlichen Gottesdienste. Der ziemlich düstere Raum war ein niedriges Gewölbe mit dicken, schweren Säulen, das dank seiner stabilen Konstruktion das Feuer ohne Schaden überstanden hatte. Als Altar diente ein auf Schragen gestellter Zeichentisch, und die Bänke hatte man aus dem Refektorium herbeigeschafft. Der Sakristan musste nur noch die bestickten Altartücher auflegen und die juwelengeschmückten Kandelaber verteilen, dann

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