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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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von Sohn könntest du ihn schon schützen!«
    Tom zuckte zusammen. Er hasste es, wenn sie Alfred einen Raufbold nannte. »Ja, das könnte ich«, gab er verärgert zurück. »Aber ich werde es nicht tun. Jack muss lernen, sich selber zu schützen.«
    »Ach, fahr doch zur Hölle!«, fuhr Ellen ihn an, machte kehrt und ließ ihn stehen.
    Tom betrat das Refektorium. Die Holzhütte, in der die Klosterbediensteten normalerweise ihre Mahlzeiten einnahmen, war beim Einsturz des Südwestturms beschädigt worden. Die Arbeiter warteten daher mit dem Essen, bis die Mönche fertig waren, und kamen dann ins Refektorium. Tom suchte sich einen Platz abseits. Ihm war jetzt nicht nach Gesellschaft zumute. Ein Küchenhelfer brachte ihm einen Krug Bier und stellte einen Korb mit ein paar Brotscheiben vor ihn hin. Tom tunkte ein Stück Brot ins Bier und begann zu essen.
    Alfred ist ein großer Bursche mit zu viel überschüssiger Kraft, dachte er und seufzte in seinen Bierkrug. Die Vaterliebe wärmte sein Herz. Natürlich hat er etwas von einem Raufbold an sich, daran gibt es nichts zu rütteln. Aber mit der Zeit wird sich das schon legen. Ich werde meine Kinder nicht dazu zwingen, besondere Rücksichten auf diesen dahergelaufenen Jack zu nehmen, dachte Tom. Sie haben schon viel zu viel ertragen müssen. Sie haben ihre Mutter verloren, mussten monatelang von einem Ort zum anderen ziehen und wären ums Haar verhungert. Soweit es in meinen Kräften steht, werde ich ihnen weitere Belastungen ersparen. Nach allem, was geschehen ist, haben sie durchaus einen Anspruch auf etwas Nachsicht und Milde. Jack soll Alfred eben aus dem Weg gehen, das wird ihn schon nicht umbringen …
    Auseinandersetzungen mit Ellen erfüllten Tom regelmäßig mit Schwermut. Sie hatten sich schon des Öfteren gestritten, und meistens war es dabei um die Kinder gegangen. Der jüngste Streit war der bislang schlimmste. Es war ihm schier unmöglich, die harten feindlichen Züge, die im Zorn ihr Antlitz beherrschten, mit der leidenschaftlichen Liebe in Einklang zu bringen, welche sie kurz zuvor noch miteinander verbunden hatte. In ihrer Wut kam sie ihm vor wie eine Fremde, die sich in böser Absicht in sein beschauliches Leben einmischte.
    Mit seiner ersten Frau war es anders gewesen. Gewiss, es hatte Meinungsverschiedenheiten gegeben, aber nicht so hitzige, erbitterte Kräche. Im Nachhinein kam es ihm vor, als hätten er und Agnes in allen wichtigen Dingen übereingestimmt und in den wenigen Ausnahmefällen mehr Rücksicht aufeinander genommen. So soll es auch sein im Zusammenleben von Mann und Frau, dachte er. Ellen wird lernen müssen, dass man in einer Familie nicht immer den eigenen Willen durchsetzen kann.
    Es war nicht so, dass er Ellen fortwünschte, nicht einmal, wenn sie vor Wut tobte. Aber er konnte es nicht verhindern, dass sich immer häufiger sentimentale Erinnerungen an Agnes einstellten. Sie war fast sein gesamtes Erwachsenenleben an seiner Seite gewesen, und ihr Tod bedeutete für ihn einen schmerzhaften Verlust, den er noch lange nicht überwunden hatte.
    Tagsüber, wenn die Arbeiter wussten, was sie zu tun hatten, und Tom sich mit Muße einer Tätigkeit zuwenden konnte, die sein fachmännisches Geschick erforderte – zum Beispiel der Ausbesserung einer Mauer im Kreuzgang oder der Restauration eines Pfeilers in der Krypta –, führte er bisweilen imaginäre Gespräche mit Agnes. Meistens erzählte er ihr dabei von Jonathan, ihrem jüngsten gemeinsamen Sohn. Tom sah den Kleinen jetzt fast täglich. Er wurde in der Küche gefüttert, im Kreuzgang herumgetragen und des Abends im Dormitorium zu Bett gebracht. Jonathan machte den Eindruck eines rundum gesunden und glücklichen Kindes. Kein Mensch im Kloster, von Ellen einmal abgesehen, wäre auf den Gedanken gekommen, dass Tom am Schicksal des Kleinen besonderen Anteil nahm. Auch über Alfred und Prior Philip, ja sogar über Ellen unterhielt sich Tom mit Agnes, genauso wie er sich – außer über Ellen – mit der Lebenden darüber unterhalten hätte. Er berichtete ihr von seinen Zukunftsplänen, von seiner Hoffnung, endlich eine dauerhafte Anstellung gefunden zu haben, und von seinem Traum, eine eigene Kathedrale entwerfen und bauen zu können. Agnes’ Antworten hörte er in seinem Kopf. Sie klangen mal zufrieden und ermutigend, mal begeistert, mal skeptisch, mal ablehnend – je nachdem. Manchmal gab er ihr recht, manchmal widersprach er ihr. Hätte er jemandem von seinen Gesprächen mit Agnes

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