Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Philip, doch da trat der Haushofmeister auch schon zur Seite und ließ ihn passieren. Er verließ das Gemach, raffte seine Kutte und eilte die Wendeltreppe hinunter. Als er unten ankam, hörte er Schritte hinter sich. Matthew holte ihn ein.
»Erzählt niemandem, dass Ihr uns hier getroffen habt!«, sagte er.
Philip erkannte, dass Matthew die Wirklichkeit durchaus begriff. »Wie lange wollt Ihr hierbleiben?«, fragte Philip.
»So lange wie möglich«, antwortete der Haushofmeister.
»Und wenn Ihr die Burg verlassen müsst ? Wohin wendet Ihr Euch dann?«
»Ich weiß es nicht.«
Philip nickte. »Ich wahre Euer Geheimnis«, versprach er.
»Danke, Vater.«
Philip durchquerte den staubigen Saal und trat ins Freie. Unten zügelten gerade Bischof Waleran und zwei andere Männer ihre Rösser neben Philips eigenem Pferd. Waleran trug einen schweren Mantel, der mit schwarzem Pelz besetzt war, und auf dem Kopf eine schwarze Pelzmütze. Er sah auf, und Philip blickte in seine blassen Augen. »Ehrwürdiger Herr Bischof«, sagte Philip respektvoll und schritt die Stufen hinunter. Das Bild des jungfräulichen Mädchens im gräflichen Schlafgemach stand noch immer lebhaft vor seinen Augen und ließ sich nicht so schnell abschütteln, wie es ihm lieb gewesen wäre.
Waleran saß ab. Seine Begleiter waren dieselben wie beim letzten Mal: Dechant Baldwin und der Bewaffnete. Philip nickte den beiden zu; dann kniete er vor Waleran nieder und küsste ihm die Hand.
Waleran akzeptierte die Ehrbezeigung, ohne sie besonders auszukosten: Rasch entzog er Philip seine Hand. Waleran liebte die reine Macht – die äußeren Insignien interessierten ihn nicht.
»Allein, Philip?«, fragte er.
»Gewiss. Die Priorei ist arm. Eine Begleitung für mich wäre eine überflüssige Ausgabe. Als Prior von St.-John-in-the-Forest hatte ich nie eine Eskorte – und hab’s dennoch überlebt.«
Waleran zuckte mit den Achseln. »Kommt mit«, sagte er. »Ich möchte Euch etwas zeigen.« Quer über den Hof schritt er auf den nächsten Turm zu, betrat ihn durch die niedrige Tür und stieg sogleich die Treppen empor. Philip folgte ihm. In dichten Trauben hingen Fledermäuse an der niedrigen Decke, und Philip zog den Kopf ein, um ihnen auszuweichen.
Dann standen sie hoch oben vor den Zinnen des Turms, und ihre Blicke schweiften über das sie umgebende Land.
»Es handelt sich um eine der kleineren Grafschaften im Königreich«, sagte Waleran.
»Ihr sagt es.« Philip schauderte. Es herrschte ein kalter, feuchter Wind, und sein Mantel war nicht so warm wie Walerans. Er fragte sich, warum ihn der Bischof hierher geführt hatte.
»Die Ländereien sind zum Teil recht gut, doch gibt es auch viel Wald und steinige Höhen.«
»Ja.« Bei klarem Wetter hätte man viele Morgen Ackerland und Wald überblicken können. Die beiden Betrachter konnten jedoch im Süden, obwohl sich der Morgennebel inzwischen gelichtet hatte, kaum den Waldrand erkennen und sahen nur die flachen Felder in unmittelbarer Nähe der Burg.
»Zur Grafschaft gehört auch ein riesiger Steinbruch, aus dem hervorragende Kalksteinblöcke gefördert werden«, fuhr Waleran fort. »Die Wälder bergen prächtiges Holz in großer Menge, und die Höfe erwirtschaften einen beachtlichen Reichtum. Gehörte diese Grafschaft uns, Philip, so könnten wir unsere Kathedrale bauen.«
»Wenn Schweine Flügel hätten, könnten sie fliegen«, sagte Philip. »Oh, du Kleingläubiger!«
Philip starrte Waleran an. »Ist das etwa Euer Ernst?«
»In der Tat.«
Philip war nach wie vor sehr skeptisch, doch keimte trotz allem eine gewisse Hoffnung in ihm auf. Ja, wenn das möglich wäre! Aber er sagte: »Der König braucht militärische Unterstützung. Er wird die Grafschaft jemandem zusprechen, der imstande ist, Ritter in die Schlacht zu führen.«
»Der König verdankt seine Krone der Kirche und Euch und mir seinen Sieg über Bartholomäus. Ritter sind nicht alles, was er braucht.«
Waleran meinte es tatsächlich ernst. War das überhaupt denkbar? War es möglich, dass der König die Grafschaft Shiring der Kirche übereignete, um auf diese Weise den Wiederaufbau der Kathedrale von Kingsbridge zu finanzieren? Es war schier unglaublich, trotz der Argumente, die Waleran angeführt hatte. Aber Philip konnte einfach nicht anders: Der Gedanke, wie großartig es wäre, wenn alle Steine, alles Holz und genügend Geld für die Handwerker zur Verfügung stünden, ließ ihn nicht mehr los. Was hatte Tom Builder gesagt? Mit
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