Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
hatte William keinerlei Anlass dazu gegeben. Entsprechend scharf fiel seine Antwort aus: »Euch? Ihr bekommt sie doch ohnehin nicht, mein Junge! Ich, Euer Vater oder Bischof Waleran bekommen sie. Niemand hat den König ersucht, sie Euch zu geben.«
»Ich werde sie dereinst erben.«
»Warten wir’s ab.« Es war sinnlos, sich mit William zu streiten. »Ich will Euch doch nichts Böses«, fuhr er in versöhnlichem Ton fort. »Ich will eine neue Kathedrale errichten, das ist alles.«
»Dann nehmt Euch eine andere Grafschaft«, erwiderte William. »Warum hacken die Leute bloß immer auf uns herum?«
Philip bemerkte die Verbitterung in der Stimme des jungen Mannes. »Tun sie das?«, fragte er.
»Das Schicksal des Grafen Bartholomäus sollte ihnen eigentlich eine Lehre sein. Er hat unsere Familie beleidigt – Ihr seht ja jetzt, was er davon gehabt hat.«
»Die Kränkung ging ursprünglich doch wohl von seiner Tochter aus, oder?«
»Das Luder ist genauso stolz und eingebildet wie sein Vater. Aber auch sie wird dafür noch büßen. Wir zwingen jeden, der uns beleidigt, in die Knie, Ihr werdet schon sehen.«
Das sind die giftigen Worte eines missgünstigen alten Weibes, dachte Philip, nicht die normalen Gefühle eines jungen Mannes um die zwanzig. Die Unterhaltung gefiel ihm ganz und gar nicht. Die meisten Menschen verbargen ihren nackten Hass unter manierlichen Kleidern. William in seiner Einfalt war dazu nicht imstande. »Die Rache überlässt man am besten dem Jüngsten Gericht«, sagte er.
»Warum wartet Ihr mit dem Bau Eurer Kathedrale nicht auch bis zum Jüngsten Gericht?«
»Weil es dann zu spät ist, die Seelen der Sünder vor den Qualen der Hölle zu bewahren.«
»Fangt mir bloß damit nicht an!«, rief William mit schriller Stimme. »Spart Euch das für Eure Predigten auf.«
Der Prior verbiss sich die scharfe Entgegnung, die ihm bereits auf der Zunge lag. Irgendetwas stimmte nicht mit diesem Burschen. Philip hatte den Eindruck, der Junge könne jeden Augenblick vom Jähzorn gepackt und in seiner Wut zum Äußersten getrieben werden – mit möglicherweise tödlichen Folgen. Dennoch fürchtete er sich nicht vor ihm. Er hatte überhaupt keine Angst vor Gewalttätern – vielleicht, weil er als Kind die furchtbarsten Gewalttaten erlebt und über lebt hatte. Doch was war schon damit gewonnen, wenn er William jetzt tadelte und zusätzlich erboste? Gar nichts. Er antwortete im freundlichsten Ton: »Himmel und Hölle sind mein Gewerbe – Tugend und Sünde, Vergebung und Strafe, Gut und Böse … Ich fürchte, ich kann darüber nicht schweigen.«
»Dann unterhaltet Euch meinetwegen mit Euch selbst«, erwiderte William und gab seinem Pferd die Sporen.
Als sein Vorsprung ungefähr vierzig oder fünfzig Schritt betrug, zügelte er sein Tier wieder, und Philip fragte sich schon, ob William sein Verhalten bedauere und wieder an seine Seite kommen wolle. Aber dem war nicht so. Den Rest der Strecke legten sie getrennt zurück.
Philip war voller Unruhe und obendrein ziemlich niedergeschlagen. Er war nicht mehr Herr seines eigenen Schicksals. In Winchester hatte er das Feld Waleran Bigod überlassen, und nun ließ er sich von William Hamleigh irgendwohin führen, ohne zu wissen, warum. Alle versuchen sie, sich meiner zu bedienen, dachte er. Warum lasse ich das alles willenlos mit mir geschehen? Es wäre weiß Gott an der Zeit, selbst die Initiative zu ergreifen …
Aber was sollte er tun? Umkehren und nach Winchester zurückreiten? Das brachte jetzt auch nichts mehr.
So setzte er seinen Weg fort und starrte trübsinnig auf das auf und ab wippende Hinterteil von Williams Pferd.
Kurz vor Mittag erreichten sie das Tal, in dem der Bischofspalast lag. Philip wusste noch genau, wie er zu Beginn des Jahres zitternd vor Furcht hier eingetroffen war, belastet von der Bürde eines tödlichen Geheimnisses … Was hatte sich seither nicht alles verändert!
Zu Philips Erstaunen ritt William am Sitz des Bischofs vorbei. Die Straße führte nun bergan und verengte sich zu einem schmalen Feldweg. Kurz vor dem Gipfel der Anhöhe kamen sie zu einer Art Baustelle. Ein Erdwall, der aussah, als wäre er erst vor kurzer Zeit aufgeschüttet worden, versperrte ihnen den Weg. Ein böser Verdacht keimte in Philip auf.
Sie bogen vom Weg ab und ritten am Fuße des Walls entlang, bis sie an eine Lücke kamen. Sie ritten hindurch und gelangten zu einem trockenen Burggraben, der an dieser Stelle noch gefüllt war, um den Zugang zum
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