Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Innenraum zu ermöglichen.
»Habt Ihr mich deshalb hierher gebracht?«, fragte Philip.
William beschränkte sich auf ein Nicken.
Philip fand seinen Verdacht bestätigt. Waleran baute eine Burg. Es war niederschmetternd.
Er trat seinem Pferd in die Flanken und überquerte den Graben. William folgte ihm. Graben und Wall umschlossen ringförmig den Gipfel der Anhöhe. Am inneren Grabenrand war eine zwei bis drei Fuß hohe Steinmauer errichtet. Sie war noch nicht fertig, doch ließ sich aus ihrer Dicke schließen, dass sie eines Tages sehr hoch sein würde.
Waleran ließ eine Burg erbauen, doch die Baustelle war verwaist. Weder Baumeister noch Werkzeuge, weder Steinhaufen noch Bauholz waren zu sehen. Nach schnellem, fleißigem Beginn waren die Arbeiten plötzlich eingestellt worden. Allem Anschein nach war Waleran das Geld ausgegangen.
»Dass Waleran der Bauherr ist, steht außer Zweifel – oder?«, fragte Philip.
»Glaubt Ihr etwa, Waleran Bigod würde jemand anderem gestatten, in unmittelbarer Nähe seines Palasts eine Burg zu errichten?«
Philip fühlte sich erniedrigt und verletzt. Jetzt war alles kristallklar: Bischof Waleran strebte nach dem Besitz der Grafschaft Shiring samt Holzvorräten und Steinbruch, weil er eine Burg bauen wollte. Es ging ihm nicht um die Kathedrale. Er, Philip, diente lediglich als Mittel zum Zweck, der Brand der Kathedrale in Kingsbridge als willkommene Ausrede. Dahinter steckte die Absicht, die Gottesfurcht des Königs so anzuheizen, dass er Waleran die Grafschaft übertrug.
Nun sah sich Philip mit denselben Augen, mit denen Waleran und Henry ihn sehen mussten: Naiv, willfährig und jedermann freundlich zunickend, ließ er sich zur Schlachtbank führen. Ihr Urteil war ja so zutreffend! Er hatte ihnen vertraut und ihnen alle Entscheidungen überlassen, hatte sogar ihre Kränkungen mit tapferem Lächeln hingenommen, weil er glaubte, sie wollten ihn unterstützen … In Wirklichkeit hatten sie ihn von Anfang an hintergangen.
Walerans Skrupellosigkeit war erschütternd. Philip konnte sich noch gut an die traurige Miene des Bischofs beim Anblick der abgebrannten Kathedrale erinnern. Eine tief verwurzelte Frömmigkeit hatte er damals an ihm wahrgenommen. Waleran glaubte offenbar, dass im Dienst der Kirche fromme Zwecke unfromme Mittel heiligten. Philip hatte sich diese Meinung nie zu eigen gemacht. Nie würde ich ihm das antun, was er mir anzutun versucht, dachte er bei sich.
Sich selbst hatte Philip nie für leichtgläubig gehalten. Jetzt fragte er sich: Wo lag mein Fehler? Er kam zu dem Schluss, dass er sich hatte blenden lassen – von Bischof Henry und seinen seidenen Gewändern, von der großen Stadt Winchester und ihrer großartigen Kathedrale, von den Silberhaufen in der Münze, den Fleischbergen in der Straße der Fleischhauer und von der bangen Erwartung einer Audienz beim König. Er hatte vergessen, dass Gott der Herr auch durch seidene Gewänder hindurch das sündhafte Herz erkannte; dass der einzige Reichtum, den anzustreben sich lohnte, himmlischer Reichtum war und dass in der Kirche selbst der König niederknien musste. Geblendet von der Macht, der Weltläufigkeit und der Eleganz der anderen hatte er den Blick für seine wahren Ideale verloren, seine kritischen Fähigkeiten außer Kraft gesetzt und voll und ganz seinen Oberen vertraut – und war dafür belogen und betrogen worden.
Regenböen fegten über die verwaiste Baustelle. Nach einem letzten Blick wendete Philip sein Pferd und ritt tief betrübt davon. William folgte ihm. »Nun, Mönch, was sagt Ihr dazu?«, johlte er hinter ihm her. Philip gab ihm keine Antwort.
Er selbst war es ja gewesen, der Waleran zum Bischofsamt verholfen hatte. Ihr wollt, dass ich Euch zum Prior von Kingsbridge mache. Ich will, dass Ihr mich zum Bischof macht. So hatten seine Worte gelautet. Gewiss, Waleran hatte ihnen damals verschwiegen, dass der alte Bischof bereits tot war; insofern war das Versprechen unter falschen Voraussetzungen gegeben worden. Aber so, wie es damals ausgesehen hatte, war die Zusage eben Voraussetzung für seine eigene Wahl zum Prior gewesen … Alles Ausflüchte, erkannte Philip jetzt. Ich hätte die Wahl des Priors und des Bischofs in Gottes Händen lassen sollen. Die Strafe waren nun unabsehbare Auseinandersetzungen mit Bischof Waleran.
Der Gedanke an die Kränkungen, Abfuhren, Manipulationen und Täuschungen, die ihm widerfahren waren, brachte sein Blut in Wallung. Gehorsam ist eine mönchische Tugend,
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