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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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langsam. Ihr ganzer Körper fühlte sich wund an, doch die Schmerzen waren nicht mehr so schlimm wie am Abend. Sie überlegte, wie es wohl im Wohnturm aussehen mochte. Vermutlich hatten William und sein Reitknecht im Laufe der Nacht den Krug mit Wein geleert und waren dann eingeschlafen. Bei Tagesanbruch würden sie erwachen.
    Bis dahin musste sie mit Richard verschwunden sein.
    Sie ging zum Altar der Kapelle hinüber, einem schlichten hölzernen Kasten, weiß gestrichen und ohne jegliche Verzierung. Sie stemmte sich dagegen und stieß ihn mit einem Ruck um.
    »Was machst du da?«, fragte Richard mit angsterfüllter Stimme.
    »Dies war Vaters Geheimversteck«, erwiderte sie. »Er hat es mir verraten, bevor er gegangen ist.« An der Stelle, wo der Altar gestanden hatte, lag ein Bündel aus Tuch auf dem Boden. Aliena knüpfte es auf. Zum Vorschein kamen ein großes Schwert samt Scheide und Gürtel und ein tückisch aussehender, einen Fuß langer Dolch.
    Richard trat hinzu, um die Stücke in Augenschein zu nehmen. Er war nicht eben ein Meister im Umgang mit dem Schwert. Er war zwar ein ganzes Jahr lang darin unterrichtet worden, stellte sich aber immer recht unbeholfen an. Doch Aliena konnte die Waffe auf gar keinen Fall handhaben, und so reichte sie sie an ihn weiter. Er schlang sich den Gürtel um die Mitte.
    Aliena betrachtete den Dolch. Sie hatte noch nie eine Waffe getragen. Zeitlebens war sie behütet und beschützt worden. Die Einsicht, dass sie die tödliche Klinge zu ihrem eigenen Schutz brauchte, ließ sie noch deutlicher fühlen, wie vollkommen verlassen sie war. Ob sie je davon Gebrauch machen könnte? Ich habe eine hölzerne Lanze in ein Wildschwein gerammt, dachte sie; warum sollte ich hiermit nicht einen Menschen erstechen können – so einen wie William Hamleigh? Der Gedanke machte sie schaudern.
    Die lederne Scheide für den Dolch war mit einer Schlaufe versehen, die man am Gürtel befestigte. Aliena konnte sie mühelos über ihr schmales linkes Handgelenk streifen. Die Klinge steckte sie in ihren Ärmel. Sie war so lang, dass sie über ihren Ellenbogen hinausragte. Selbst wenn sie es nicht fertigbrachte, einen Menschen zu erstechen, so mochte die Waffe doch dazu dienen, Angreifern einen Schrecken einzujagen.
    Richard sagte: »Wir müssen fort, und zwar schleunigst.«
    Aliena nickte, sie hielt aber auf dem Weg zur Tür inne. Inzwischen war es heller geworden, und sie machte auf dem Boden der Kapelle zwei schemenhafte Gegenstände aus, die ihr bislang entgangen waren. Bei näherer Betrachtung stellten sie sich als Sättel heraus, einer von mittlerer Größe, der andere von wahrhaft riesigen Ausmaßen. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie William und sein Reitknecht am Abend zuvor noch voller Erregung über ihren Triumph in Winchester und ermüdet von ihrem Ritt hier angekommen waren, den Pferden die Sättel abgenommen und sie achtlos in die Kapelle geworfen hatten, bevor sie in den Wohnturm geeilt waren. Dass jemand wagen würde, sie zu bestehlen, wäre ihnen nie in den Sinn gekommen. Aber Verzweiflung macht mutig.
    Aliena trat an die Tür und sah sich draußen um. Das Licht war schwach und farblos, aber hell genug. Der Wind war abgeflaut und der Himmel wolkenlos. In der Nacht hatte der Sturm etliche Holzschindeln vom Dach geweht. Nichts rührte sich um die Kapelle, nur die beiden Pferde weideten im nassen Gras. Sie sahen kurz zu Aliena auf, senkten aber gleich wieder die Köpfe. Eins der Pferde war ein riesiges Schlachtross, daher also der übergroße Sattel. Das andere war ein gescheckter Hengst, nicht besonders edel, aber kompakt und solide. Aliena ließ ihren Blick von den Pferden zu den Sätteln und zurück schweifen.
    »Worauf warten wir noch?«, fragte Richard ängstlich.
    Aliena hatte ihren Entschluss gefasst. »Wir nehmen ihre Pferde«, sagte sie mit Entschiedenheit.
    Richard sah verängstigt drein. »Die bringen uns um.«
    »Sie werden uns nicht erwischen. Sie können uns nur einholen und töten, wenn wir ihnen die Pferde hierlassen.«
    »Und wenn sie uns erwischen, bevor wir uns aus dem Staub machen können?«
    »Wir müssen uns eben sputen.« Sie war bei Weitem nicht so zuversichtlich, wie sie sich gab, aber sie musste Richard Mut machen. »Den Renner satteln wir zuerst – er sieht ein bisschen freundlicher aus. Hol seinen Sattel.«
    Sie huschte davon. Beide Pferde waren mit langen Seilen an Pfosten heruntergebrannter Gebäude gebunden. Aliena löste das Seil des Schecken und zog ihn

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