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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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hastig und unordentlich auf und befestigte es am Sattelriemen. Eigentlich hätte sie die Steigbügel richten müssen. Sie waren auf die Größe von Williams Reitknecht eingestellt, der sie um einiges überragte, und hingen deshalb viel zu tief für sie. Aber wenn sie sich bloß vorstellte, wie William die Treppe herunterrannte, den Saal durchquerte und ins Freie trat …
    »Lange kann ich dieses Pferd nicht mehr halten«, ließ Richard sich, vor Anstrengung keuchend, vernehmen.
    Aliena war nicht weniger nervös als das Schlachtross. Sie schwang sich auf den Hengst. Kaum war sie aufgesessen, tat ihr inwendig alles weh, und sie konnte sich nur mit größter Mühe im Sattel halten. Richard lenkte sein Tier zum Tor, und Alienas Pferd folgte ihm ohne jegliches Zutun von ihrer Seite. Die Steigbügel waren, wie erwartet, außer Reichweite, und sie musste sich mit den Knien Halt verschaffen. Während sie sich langsam in Bewegung setzten, hörten sie plötzlich Rufe von irgendwo hinter sich. »Oh, nein!«, stöhnte sie laut. Sie sah, wie Richard sein Pferd mit den Hacken antrieb. Das massige Tier fiel in leichten Trab. Der Schecke tat es ihm nach, und Aliena nahm dankbar wahr, dass es in allem dem Schlachtross folgte, denn sie selbst war nicht in der Verfassung, das Tier zu beherrschen. Richard versetzte seinem Ross einen weiteren Tritt, und es beschleunigte seinen Schritt, als sie den Torbogen des Wachhauses passierten. Aliena hörte wiederum einen Ruf, und er klang, als hätten die Verfolger aufgeschlossen. Sie warf einen Blick über die Schulter und sah William mit seinem Reitknecht durch den Burghof hinter ihnen herrennen.
    Richards unruhiges Pferd senkte, sobald es die offenen Felder vor sich sah, den Kopf und schlug einen Galopp an. Sie donnerten über die hölzerne Zugbrücke. Aliena spürte einen Druck an ihrem Oberschenkel und sah aus den Augenwinkeln eine Männerhand nach ihren Sattelgurten greifen, doch im Nu war sie wieder verschwunden. Sie waren entkommen! Eine Welle der Erleichterung überflutete sie, doch dann stellte sich der Schmerz wieder ein. Während ihr Pferd querfeldein galoppierte, fühlte sie sich innerlich wie gepfählt – so wie tags zuvor, als der Dreckskerl William in sie eingedrungen war; außerdem spürte sie etwas Warmes ihren Oberschenkel herabrinnen. Sie ließ die Zügel schießen und kämpfte mit geschlossenen Augen gegen den Schmerz. Doch das Entsetzen der vergangenen Nacht ließ sie nicht los und malte sich hinter ihren geschlossenen Augenlidern ab. Und als sie über das Feld setzten, skandierte sie im Takt mit den Hufschlägen: »Ich will nicht dran denken – will nicht dran denken – an nichts – an nichts – an nichts.«
    Das Pferd schwenkte nach rechts, und Aliena spürte, dass es leicht bergauf ging. Sie öffnete die Augen und sah, dass Richard von dem schlammigen Pfad abgebogen war und den längeren Weg in die Wälder eingeschlagen hatte. Vermutlich wollte er ganz sichergehen, dass das Schlachtross auch wirklich müde und folgsam war, bevor sie eine langsamere Gangart anschlugen. Beide Tiere würden sich nach einem harten Ritt einfacher handhaben lassen. Es dauerte nicht lange, und Alienas Pferd zeigte Ermüdungserscheinungen. Sie setzte sich im Sattel auf. Der Schecke kanterte, wechselte in einen leichten Trab und verfiel schließlich in Trott. Richards Pferd verfügte über mehr Ausdauer und gewann schnell an Vorsprung.
    Aliena drehte sich um und blickte über die Felder. Die Burg lag nun eine Meile hinter ihnen, und sie war nicht ganz sicher, ob sie wirklich zwei Gestalten wahrnahm, die auf der Zugbrücke standen und ihnen nachsahen. Vielleicht war es nur Einbildung. Denen steht ein langer Fußmarsch bevor, ehe sie Ersatzpferde auftreiben können, dachte Aliena. Vorerst fühlte sie sich in Sicherheit.
    Ihre Hände und Füße prickelten und wurden langsam warm. Die Hitze des Pferdeleibes stieg wie Feuer auf und hüllte sie in einen wärmenden Kokon. Richard zügelte endlich sein Ross, machte kehrt und gesellte sich zu ihr. Sein Pferd ging nun langsam und schnaubte heftig, als sie in den Schatten der ersten Bäume bogen. Die Geschwister kannten diesen Wald in- und auswendig, denn sie hatten den größten Teil ihres Lebens hier verbracht.
    »Wo wollen wir hin?«, fragte Richard.
    Aliena runzelte die Stirn. Ja, wohin wollten sie eigentlich? Und was sollten sie tun? Sie hatten nichts zu essen und zu trinken, sie hatten nicht einmal Geld. Und sie, Aliena, hatte nichts außer

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