Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
sachte zu sich heran. Gewiss gehörte er Williams Reitknecht. Ein kleineres und sanfteres Tier wäre ihr lieber gewesen, doch Aliena traute sich durchaus zu, mit diesem Pferd fertig zu werden. Richard musste eben zusehen, wie er mit dem Schlachtross zurechtkam.
Der Schecke beäugte Aliena misstrauisch und legte die Ohren an. Sie war extrem ungeduldig, zwang sich aber, besänftigend auf das Tier einzureden und weiter sachte an dem Seil zu ziehen, bis es sich schließlich beruhigte. Sie hielt seinen Kopf und streichelte seine Nüstern, dann streifte Richard ihm die Zügel über und schob ihm das Mundstück ins Maul. Aliena fiel ein Stein vom Herzen. Richard hob den kleineren der beiden Sättel auf den Pferderücken und zurrte ihn schnell und geübt fest. Den Umgang mit Pferden waren die Geschwister von Kindesbeinen an gewohnt.
An beiden Seiten des Sattels waren Taschen befestigt. Aliena hoffte nur, dass sie etwas Nützliches enthielten – einen Feuerstein vielleicht, ein wenig Nahrung oder etwas Pferdefutter –, aber zum Nachsehen blieb keine Zeit. Voller Unruhe überprüfte sie das Gelände bis zur Brücke, die zum Wohnturm hinaufführte. Niemand war in Sicht.
Das Schlachtross hatte beobachtet, wie der Schecke gesattelt wurde, und wusste, was ihm bevorstand, legte jedoch keinen großen Eifer an den Tag, sich mit wildfremden Menschen einzulassen. Es schnaubte und widersetzte sich dem Zug am Seil. »Sch-sch«, machte Aliena. Sie hielt das Seil gestrafft, zog stetig an, und widerwillig näherte sich das Pferd. Es war ein sehr starkes Tier, das sie, sollte es ernsthaft Widerstand leisten, in die größten Schwierigkeiten bringen konnte. Aliena überlegte, ob nicht der Hengst sie beide tragen könnte. Doch dann bliebe William das Schlachtross, um ihnen nachzusetzen.
Sobald sie das Ross nahe genug herangezogen hatte, schlang Aliena das Seil mehrfach um den Pfosten, sodass das Tier nicht mehr weglaufen konnte. Aber als Richard versuchte, ihm Zügel anzulegen, warf es den Kopf zurück und wich ihm aus.
»Versuch es zuerst mit dem Sattel«, sagte Aliena. Beruhigend redete sie auf das Tier ein und tätschelte seinen mächtigen Hals, während Richard den Riesensattel hochhievte und festzurrte. Ein gewisser Ausdruck der Resignation bemächtigte sich des Rosses. »Ganz brav jetzt«, befahl Aliena mit fester Stimme, aber es ließ sich nicht hinters Licht führen und witterte die Angst, die insgeheim mitschwang. Richard näherte sich mit dem Zaumzeug, und das Pferd schnaubte und versuchte, sich davonzumachen. »Ich hab was für dich«, sagte Aliena und griff in die leere Tasche ihres Umhangs. Das Ross ließ sich täuschen, beugte den Hals, drückte seinen Kopf in ihre leere Handfläche und suchte nach Futter. Aliena spürte seine raue Zunge auf ihrer Haut. Behände legte Richard ihm das Zaumzeug an, solange es noch mit gebeugtem Kopf und offenem Maul dastand.
Aliena warf erneut einen ängstlichen Blick auf den Turm. Nichts rührte sich.
»Steig auf«, sagte sie zu Richard.
Mit großer Mühe gelang es ihm, einen Fuß in den hohen Steigbügel zu setzen und sich auf das riesenhafte Tier zu schwingen.
Das Pferd wieherte laut.
Alienas Herz raste. War das Geräusch bis in den Wohnturm zu hören? Bestimmt erkannte ein Mann wie William sein Ross schon am Wiehern, vor allem, wenn es sich um ein solch wertvolles Tier wie dieses handelte. Hoffentlich war er nicht aufgewacht.
Sie rannte zu ihrem Pferd hinüber und fummelte mit kalten Fingern am Knoten des Sattels herum. Der bloße Gedanke, William könne wach geworden sein, verwandelte sie in ein Nervenbündel. Er würde die Augen aufmachen, sich aufsetzen und umsehen. Er würde sich erinnern, wo er war, und würde sich fragen, warum sein Pferd gewiehert hatte. Dann würde er sofort herunterkommen. Aliena fühlte sich noch nicht imstande, ihm entgegenzutreten. Unvermittelt überfiel sie wieder die unerträgliche, entsetzliche Schande, die er ihr angetan hatte, mit all ihren grauenvollen Einzelheiten.
Richard sagte drängend: »Nun mach schon, Allie!« Sein Pferd war mittlerweile nervös und ungeduldig geworden, und er hatte alle Hände voll zu tun, es zu beruhigen. Ein paar Meilen in gestrecktem Galopp würden es ermüden und fügsamer machen. Es wieherte noch einmal und tänzelte seitwärts.
Endlich hatte Aliena den Knoten gelöst. Sie war versucht, das Seil einfach liegen zu lassen, doch dann hätte sie den Schecken nicht wieder anbinden können; also rollte sie das Seil
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