Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Rundbögen ab.
Das Haus hatte zwei Stockwerke und war noch ziemlich neu, ja an einer Ecke waren sogar noch Maurer am Werk, die allem Anschein nach einen Turm anbauten. Trotz des Regens war der Burghof recht bevölkert. Leute kamen und gingen, eilten von Haus zu Haus: Bewaffnete, Priester, Händler, Bauleute, Palastgesinde.
Der Palast besaß mehrere Eingänge, die, wie Tom auffiel, allesamt offen standen. Er war sich nicht ganz sicher, wie er nun vorgehen sollte. Wenn der Bischof gerade mit dem Baumeister sprach, wollte er vielleicht nicht gestört werden. Andererseits war ein Bischof kein König, und Tom war ein freier Bürger und Steinmetz mit einem legitimen beruflichen Anliegen – kein kriecherischer Leibeigener, der irgendeine Klage vorzubringen hatte. Tom entschloss sich daher für den direkten Weg.
Er hieß Agnes und Martha warten. Dann ging er mit Alfred über den matschigen Hof zum Palast und trat durch die erstbeste Tür ein.
Sie gerieten in eine kleine Kapelle mit einer gewölbten Decke und einem Fenster hinter dem Altar. An einem hohen Pult neben dem Eingang saß ein Priester, der mit flinker Hand ein Pergament beschrieb. Beim Eintritt der beiden sah er auf.
»Wo finde ich den Baumeister John?«, fragte Tom ohne Umschweife.
»In der Sakristei«, antwortete der Priester und wies mit einer ruckartigen Kopfbewegung auf eine Seitentür.
Tom bat nicht eigens darum, vorgelassen zu werden. Bei einer formgemäßen Anmeldung lassen sie uns warten, und wir verlieren bloß Zeit, dachte er. Mit entschlossenen Schritten durchquerte er die Kapelle und betrat die Sakristei.
Es war ein kleiner Raum mit quadratischem Grundriss, der durch zahlreiche Kerzen erhellt wurde. Einen Großteil seiner Bodenfläche bedeckte ein flacher Sandhaufen, der mit einem Richtscheit sauber geglättet worden war. Die beiden Männer, die sich im Zimmer befanden, sahen Tom nur kurz an, ehe sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Sand richteten. Der Bischof, ein alter Mann mit runzligem Gesicht und funkelnden schwarzen Augen, zeichnete mit einem angespitzten Holzstab etwas in den Sand. Der Baumeister – er trug eine Lederschürze – sah ihm dabei zu. Er gab sich geduldig, doch seine Miene verriet Skepsis.
Tom wartete unruhig. Alles hing davon ab, dass er jetzt einen guten Eindruck machte, sich höflich, aber nicht kriecherisch gab, sein Wissen erwies, aber sich nicht damit brüstete. Ein Handwerksmeister forderte von seinen Untergebenen ebenso viel Gehorsam wie Geschick, das war ihm klar. Er hatte ja selbst schließlich schon Arbeitskräfte angeworben.
Bischof Roger entwarf ein zweistöckiges Gebäude, das auf drei Seiten große Fenster zeigte. Er war ein guter Zeichner; seine Linien waren gerade, die rechten Winkel exakt. Er zeichnete einen Grundriss und eine Seitenansicht, aber Tom erkannte sofort, dass dieses Gebäude niemals errichtet werden würde.
Schließlich war der Bischof fertig. »So«, sagte er.
John wandte sich an Tom. »Was führt Euch her?«
Tom tat so, als habe er ihn um seine Meinung gebeten. »Ein Gewölbe mit so großen Fenstern ist ein Ding der Unmöglichkeit.«
Der Bischof sah ihn empört an. »Das ist kein Gewölbe, sondern eine Schreibstube.«
»Das spielt keine Rolle. Auch sie wird einstürzen.«
»Er hat recht«, bemerkte John.
»Aber die Schreiber brauchen doch Licht!«
John zuckte mit den Schultern und wandte sich wieder an Tom: »Wer seid Ihr?«
»Mein Name ist Tom. Ich bin Steinmetz.«
»Das dachte ich mir. Was führt Euch zu uns?«
»Ich suche Arbeit«, antwortete Tom und hielt den Atem an.
John schüttelte sofort den Kopf. »Ich habe keine Arbeit für Euch.«
Seine Worte trafen Tom wie Keulenschläge. Am liebsten hätte er auf dem Absatz kehrtgemacht. Doch er wahrte die Form und hörte sich die Begründung an.
»Wir arbeiten seit zehn Jahren hier«, fuhr John fort. »Die meisten Steinmetzen besitzen ein Haus in der Stadt. Mittlerweile nähert sich der Bau der Vollendung, und ich habe schon jetzt mehr Leute, als ich eigentlich brauche.«
Es war aussichtslos. Tom wusste es. Dennoch fragte er: »Und der Palast?«
»Für den gilt dasselbe«, erwiderte John. »Am Palast beschäftige ich die überzähligen Leute. Ohne den Palast und Bischof Rogers andere Burgen hätte ich längst schon Steinmetzen entlassen müssen.«
Tom nickte. Bemüht, sich seine Verzweiflung nicht anmerken zu lassen, fragte er: »Ist Euch vielleicht bekannt, wo es sonst Arbeit gibt?«
»Am Kloster von Shaftesbury wurde
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