Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
ich nichts anfangen«, sagte der Mann verächtlich und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.
Aliena ließ sich nicht damit abspeisen. »Warum nicht?«, sagte sie zornig. »Wir sind keine Bettler, wir wollen unser Geld verdienen. «
Er drehte sich zu ihr um.
»Bitte!«, flehte sie, obwohl sie sich selber dafür hasste.
Er bedachte sie mit einem ungeduldigen Blick und mit einer Miene, als wäre er sich nicht schlüssig, ob die Kreatur vor ihm einen Fußtritt wert sei oder nicht; aber sie erkannte darin auch die Versuchung, aufzutrumpfen und ihr ihre eigene Dummheit vor Augen zu führen. »Na schön«, seufzte er. »Ich werde es euch erklären. Kommt mit.«
Er führte sie an den Trog. Die Männer und die Frau zogen gerade das Tuch aus dem Wasser und waren bemüht, es gleichzeitig aufzurollen. Der Meister wandte sich an die Frau: »Lizzie, komm her, und zeig uns mal deine Hände.«
Gehorsam trat die Frau zu ihnen und streckte ihre Hände aus. Sie waren rau und rot und dort, wo die Haut aufgesprungen war, mit offenen Stellen übersät.
»Fühl mal, wie das ist«, sagte der Meister zu Aliena.
Aliena berührte die Hände der Frau. Sie waren kalt wie Eis und sehr rau, aber am auffälligsten war ihre ungewöhnliche Härte. Sie betrachtete ihre eigenen Hände, die ihr nun, da sie die der Frau hielt, plötzlich weich und weiß und sehr klein schienen.
»Sie hat ihre Hände im Wasser gehabt, seit sie ganz klein war«, erklärte der Meister, »deswegen macht es ihr nichts aus. Bei dir ist das anders. Du würdest diese Arbeit nicht einmal einen Vormittag lang aushalten.«
Aliena wollte ihm widersprechen. Sie würde sich schon daran gewöhnen, meinte sie, war aber nicht sicher, ob es stimmte. Bevor sie den Mund aufmachen konnte, mischte Richard sich ein. »Und ich?«, sagte er. »Ich bin größer als die beiden Männer – ich könnte die Arbeit schon schaffen.«
Es stimmte tatsächlich, dass Richard größer und breiter war als die Männer, die die Keule schwangen. Wenn er mit einem Schlachtross fertig wird, dachte Aliena, dann kann er auch Tuch walken.
Die beiden Männer hatten das nasse Tuch vollständig aufgerollt, und einer von ihnen schulterte nun die Rolle, um sie auf den Hof zum Trocknen zu bringen. Der Meister bot ihm Einhalt. »Lass den jungen Herrn mal spüren, was so ein Ballen wiegt, Harry.«
Der Angesprochene wuchtete den Tuchballen von seiner Schulter und legte ihn Richard auf. Der sackte unter dem Gewicht zusammen, richtete sich mühsam wieder auf, ging aber gleich wieder in die Knie, sodass das Ende des Ballens auf dem Boden ruhte. »Das kann ich nicht tragen«, keuchte er.
Die Männer lachten. Der Meister warf einen triumphierenden Blick in die Runde, und Harry nahm den Ballen wieder auf, legte ihn geübt über die Schulter und trug ihn weg.
»Das ist eine ganz andere Art von Stärke«, sagte der Meister. »Die kriegt man nur, wenn man arbeiten muss.«
Das machte Aliena wütend. Sie zu verspotten, wo sie sich doch nur auf ehrliche Weise einen Penny verdienen wollten! Ihr wurde klar, dass dieser Meister sie mit geradezu diebischer Freude aufzog und so lange weiter sticheln würde, wie sie ihn ließ. Einstellen würde er weder sie noch Richard. »Vielen Dank für deine Zuvorkommenheit«, sagte sie mit deutlichem Sarkasmus, machte kehrt und ging davon.
»Es war nur so schwer, weil es so nass war!«, verteidigte sich Richard. »Damit hatte ich nicht gerechnet.«
Aliena erkannte, dass sie gute Miene zum bösen Spiel machen musste, damit Richard nicht den Mut verlor. »Es gibt schließlich noch andere Arbeitsmöglichkeiten«, sagte sie, während sie die matschige Straße entlanggingen.
»Was können wir denn sonst noch tun?«
Aliena schwieg. Mittlerweile waren sie an der nördlichen Stadtmauer angelangt, sodass sie nun nach links gen Westen abbiegen mussten. Dies war offenbar die ärmlichste Gegend von Winchester. Die Häuser, unmittelbar an die Stadtmauer gelehnt, waren größtenteils nur windschiefe Schuppen und die Gassen mit Unrat übersät. Nach einer ganzen Weile sagte Aliena: »Erinnerst du dich noch an die Mädchen auf der Burg? Wenn sie zu Hause keinen Platz mehr hatten und auch noch keinen Ehemann, kamen sie zu uns, und Vater hat sie alle aufgenommen. Sie haben dann bei der Küchenarbeit geholfen, bei der Wäsche oder in den Ställen, und an Heiligentagen bekamen sie von Vater einen Penny.«
»Glaubst du etwa, dass wir auf der Burg von Winchester leben könnten?«, fragte Richard
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