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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Willens seid. Aber Ihr seid zeitlebens von anderen bedient worden, und selbst jetzt noch habt Ihr in Eurem tiefsten Inneren das Gefühl, alles müsse Euch in den Schoß fallen. Menschen von hohem Stand geben keine guten Dienstboten ab. Sie sind ungehorsam, ungehalten, unbedacht und überempfindlich, und sie glauben, hart zu arbeiten, wenn sie in Wirklichkeit weniger tun als alle anderen; das führt zu Reibereien in der Dienerschaft.« Er zuckte mit den Schultern. »Meiner Erfahrung nach wenigstens.«
    Aliena vergaß, dass sie sein Widerwille gegen ihre Religion beleidigt hatte. Immerhin war er der erste Mensch, der ihnen freundlich begegnete, seit sie die Burg verlassen hatten.
    »Aber was können wir denn dann tun?«, fragte sie.
    »Ich kann Euch nur sagen, was ein Jude tun würde. Er würde sich nach etwas umsehen, das verkäuflich ist. Als ich in diese Stadt kam, fing ich damit an, Schmuck von Leuten aufzukaufen, die Geld brauchten. Dann habe ich das Silber eingeschmolzen und es an die Münzpräger verkauft.«
    »Aber wo habt Ihr das Geld zum Kauf des Schmucks hergenommen?«
    »Das habe ich von meinem Onkel geliehen – und ihm übrigens mit Zinsen zurückgezahlt.«
    »Aber uns würde niemand Geld leihen!«
    Er sah sie nachdenklich an. »Was hätte ich ohne den Onkel gemacht? Ich glaube, ich wäre in den Wald gegangen und hätte Nüsse gesammelt. Die hätte ich dann in der Stadt an die Hausfrauen verkauft, die in ihren Hinterhöfen vor lauter Unrat und Dreck keinen Platz für Bäume und überdies zu wenig Zeit haben, selbst in den Wald zu gehen.«
    »Dafür ist jetzt nicht die richtige Jahreszeit«, gab Aliena zurück. »Im Augenblick wächst gar nichts.«
    Der Goldschmied lächelte. »Die Ungeduld der Jugend«, meinte er. »Ihr müsst ein Weilchen warten.«
    »Na schön.« Aliena schien es sinnlos, das Schicksal ihres Vaters zu erwähnen. Der Goldschmied hatte sich redliche Mühe gegeben, ihnen zu helfen. »Seid bedankt für Euren guten Rat.«
    »Lebt wohl.« Er wandte sich zum Gehen und schloss die massive Tür mit den Eisenbeschlägen hinter sich.
    Aliena und Richard traten wieder auf die Straße hinaus. Der Goldschmied hatte sich zwar sehr liebenswürdig verhalten – nichtsdestotrotz hatten sie den halben Tag damit vertan, Abfuhren einzustecken, und Aliena fühlte Hoffnungslosigkeit in sich aufsteigen. Ziellos wanderten sie durch das Judenviertel, bis sie wieder auf die High Street stießen. Aliena merkte plötzlich, wie hungrig sie war – es war bereits Mittag. Und wenn ihr schon der Magen knurrte, so musste Richard halb verhungert sein! Sie schlenderten die High Street entlang, voller Neid auf die wohlgenährten Ratten, die sich an den Abfällen gütlich taten.
    Am alten Königspalast angekommen, hielten sie wie alle Fremden inne, um den Münzern hinter ihren Gitterstäben zuzusehen, wie sie Geld prägten. Aliena starrte wie gebannt auf die Stapel von Silberpennys – wenn sie doch nur einen einzigen davon haben könnte!
    Nach einer Weile fiel ihr ein Mädchen in ihrer Nähe auf, das ungefähr so alt war wie sie selbst und das Richard anlächelte. Sie sah freundlich aus, und als sie zum zweiten Mal lächelte, sprach Aliena sie an. »Lebst du hier?«
    »Ja«, erwiderte das Mädchen. Sie war offenbar ausschließlich an Richard interessiert.
    »Unser Vater ist im Gefängnis«, platzte Aliena heraus, »und wir suchen nach einer Möglichkeit, uns Geld zu verdienen, damit wir den Gefängnisaufseher bestechen können. Weißt du etwas für uns?«
    Das Mädchen wandte endlich den Blick von Richard und fragte Aliena: »Ihr wollt wissen, wie ihr euch Geld verdienen könnt?«
    »Richtig, und wir sind bereit, fleißig dafür zu arbeiten. Wir machen alles. Glaubst du, du weißt etwas für uns?«
    Das Mädchen musterte Aliena eingehend von Kopf bis Fuß. »Ja, ich weiß schon«, sagte sie schließlich. »Ich kenne jemanden, der euch vielleicht helfen kann.«
    Aliena war geradezu überwältigt: Zum ersten Mal an diesem Tag war ihre Frage bejaht worden! »Wann können wir zu ihm gehen?«, fragte sie eifrig.
    »Ihr.«
    »Wie bitte?«
    »Es ist eine Frau. Und wenn ihr mit mir geht, kannst du wahrscheinlich gleich mit ihr reden.«
    Aliena und Richard sahen sich entzückt an. Aliena konnte ihr plötzliches Glück kaum fassen.
    Das Mädchen wandte sich zum Gehen, und sie folgten ihr. Sie führte sie zu einem großen Holzhaus, das an der Südseite der High Street stand. Es bestand im Wesentlichen aus einem Erdgeschoss,

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