Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
besaß aber noch einen kleinen Ausbau im ersten Stockwerk. Das Mädchen erklomm eine Außentreppe und bedeutete ihnen, ihr zu folgen.
Das Obergeschoss bestand aus einer einzigen Schlafkammer. Aliena sah sich mit großen Augen um: Sie war weit aufwendiger ausgestattet, als alle Räume der väterlichen Burg selbst zu Mutters Lebzeiten es je gewesen waren. An den Wänden hingen Gobelins, der Boden war mit Fellen ausgelegt und das Bett mit bestickten Vorhängen umgeben. Auf einem thronähnlichen Stuhl saß eine Frau mittleren Alters in einem wunderschönen Kleid. Sie muss einmal sehr schön gewesen sein, dachte Aliena, auch wenn ihr jetzt die Haare ausfallen und ihr Gesicht schon Runzeln hat.
»Das ist Mistress Kate«, stellte das Mädchen vor.
»Kate, dieses Mädchen besitzt keinen Penny, und ihr Vater sitzt im Gefängnis.«
Kate lächelte. Aliena lächelte zurück, musste sich aber dazu zwingen: Irgend etwas an Kate wollte ihr nicht so recht behagen. »Nimm den Jungen mit in die Küche«, sagte Kate, »und gib ihm einen Becher Bier, während wir uns unterhalten.«
Das Mädchen führte Richard hinaus. Aliena war froh, dass er Bier bekam – vielleicht bekam er sogar etwas zu essen?
»Wie heißt du?«, fragte Kate.
»Aliena.«
»Ein ungewöhnlicher Name. Aber er gefällt mir.« Sie stand auf und trat näher – für Alienas Geschmack etwas zu nah. Sie legte Aliena die Hand unters Kinn. »Du hast ein sehr hübsches Gesicht.« Ihr Atem roch nach Wein. »Leg deinen Umhang ab.«
Aliena verwirrte diese Untersuchung, aber sie fügte sich: Bis jetzt wirkte alles recht harmlos, und sie wollte auf keinen Fall die erste vielversprechende Aussicht auf Arbeit nach den morgendlichen Fehlschlägen durch etwaige Unbotmäßigkeit aufs Spiel setzen. Sie ließ ihren Umhang von den Schultern gleiten, legte ihn auf eine Bank und stand nun in dem alten Leinenkleid da, das ihr die Frau des Jagdpflegers gegeben hatte.
Kate ging einmal ganz um sie herum und schien aus irgendeinem Grund beeindruckt. »Mein liebes Kind, dir wird es nie an Geld mangeln und auch sonst an nichts. Wenn du für mich arbeitest, werden wir beide reich.«
Aliena runzelte die Stirn. Das klang ihr allzu verrückt. Sie wollte nichts weiter, als bei der Wäsche, beim Kochen oder Nähen helfen: Wie sollte sie da irgendwen reich machen? »Was für eine Arbeit meint Ihr?«, sagte sie.
Kate, die hinter ihr stand, ließ die Hände an Alienas Seiten heruntergleiten, befühlte ihre Hüften und stand so dicht hinter ihr, dass Aliena ihre Brüste spürte, die sich gegen ihren Rücken pressten. »Du hast eine wunderbare Figur«, sagte Kate. »Und deine Haut ist genauso wunderbar. Du bist von adliger Geburt, nicht wahr?«
»Mein Vater war der Graf von Shiring.«
»Bartholomäus! So, so. Ich kann mich gut an ihn erinnern – nicht etwa, dass er einer meiner Kunden gewesen wäre. Ein tugendhafter Mann, dein Vater. Nun, jetzt verstehe ich auch, warum du in Not bist.«
Kate hatte also Kunden. »Was verkauft Ihr?«, fragte Aliena.
Kate gab keine Antwort darauf. Sie trat wieder vor Aliena hin und sah ihr ins Gesicht. »Bist du noch Jungfrau, Kleine?«
Aliena wurde rot vor Scham.
»Du brauchst dich nicht zu genieren«, sagte Kate. »Du bist also keine mehr. Nun ja, das macht nichts. Jungfrauen werden hoch gehandelt, aber natürlich hält das nicht vor.« Sie umschlang Alienas Hüften mit den Händen, beugte sich vor und küsste sie auf die Stirn. »Du bist sehr üppig, auch wenn du es selber nicht weißt. Bei allen Heiligen, du bist einfach unwiderstehlich!« Sie ließ eine Hand von Alienas Hüften zu ihrem Busen hinaufgleiten, nahm behutsam eine Brust in ihre Hand, wog und drückte sie sachte, neigte sich schließlich vor und küsste Aliena auf den Mund.
Schlagartig fiel es Aliena wie Schuppen von den Augen: warum das Mädchen vor der Münze nur Richard zugelächelt hatte, woher Kate ihr Geld bezog, worin ihre eigene Arbeit für Kate bestehen sollte, ja, was für eine Frau diese Kate war. Sie kam sich töricht vor. Dass sie darauf nicht früher gekommen war! Einen Moment lang ließ sie Kate gewähren – ihr Kuss war so ganz anders als das, was William Hamleigh ihr angetan hatte, so gar nicht Abscheu erregend. Aber es war nicht recht, und damit wollte sie auf gar keinen Fall ihr Geld verdienen. Sie entzog sich Kates Umarmung. »Ihr wollt mich zur Hure machen«, stellte sie fest.
»Zu einem Freudenmädchen, meine Liebe«, erwiderte Kate. »Spät aufstehen, jeden Tag
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