Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Steinbrechern schweigend ihre Plätze zu. Sie wurden in zwei Gruppen geteilt: Die einen versammelten sich am Fuße des Steilhanges, die anderen erklommen das Gerüst. Als sie ihre Stellungen eingenommen hatten, bedeutete Philip den Mönchen, sich sitzend oder stehend um die Arbeiter zu gruppieren. Er selbst postierte sich auf halbem Wege zwischen Hütte und Hang.
Die zeitliche Planung war perfekt: Kurz nach Philips letzten Anordnungen dämmerte der Tag herauf. Philip nahm eine Kerze aus seinem Umhang, entzündete sie an seiner Laterne und hob sie in die Höhe. Das war das abgesprochene Signal. Alle vierzig Mönche und Novizen holten nun ihrerseits eine Kerze hervor und entzündeten sie. Die Wirkung war spektakulär. Über einem Steinbruch, der von schweigenden, gespenstischen Gestalten besetzt war, brach der Tag herein, und jede hielt ein kleines, flackerndes Licht in den Händen …
Philip sah sich nach der Hütte um. Bisher war von dort noch kein Lebenszeichen gekommen. Sie würden noch eine Weile warten müssen, was Mönchen jedoch nicht allzu schwerfiel: Stundenlanges Stillstehen gehörte zu ihrem täglichen Leben. Die Arbeiter indessen wurden bald ungeduldig; sie traten rastlos von einem Fuß auf den anderen und flüsterten miteinander, doch das spielte nun auch keine Rolle mehr.
Endlich erwachten die Bewohner der Hütte. Philip hörte jemanden husten und spucken und kurz darauf ein schleifendes Geräusch. Es klang, als würde hinter der Tür ein Querbalken angehoben. Mit erhobener Hand gab er das Zeichen für absolute Stille.
Die Hüttentür öffnete sich. Philip stand noch immer mit erhobener Hand da. Ein Mann trat heraus und rieb sich die Augen; nach Toms Beschreibung war es Harold von Shiring, der Steinbruchmeister. Harold bemerkte zunächst nichts Ungewöhnliches. Er lehnte sich gegen den Türpfosten und hustete tief und blubbernd wie ein Mann, der zu viel Steinstaub auf den Lungen hat. Philip ließ die Hand sinken. Weiter hinten gab der Kantor den Ton an, und die Mönche fingen an zu singen. Der Steinbruch füllte sich mit unheimlichen Klängen.
Die Wirkung auf Harold war überwältigend. Er riss den Kopf hoch und glotzte den Geisterchor, der wie von Zauberhand in seinem Steinbruch erschienen war, mit weit aufgerissenen Augen und hängendem Unterkiefer an. Ein Angstschrei entwich seinem offenen Mund, dann stolperte er durch die Tür zurück in die Hütte.
Philip gestattete sich ein zufriedenes Lächeln. So weit, so gut. Die Furcht vor dem Übernatürlichen würde allerdings nicht lang vorhalten. Wieder erhob er seine Hand. Die Steinbrecher begannen mit der Arbeit und untermalten den Chorgesang mit dem Klang von Eisen auf Stein.
Zwei oder drei Gesichter lugten ängstlich aus der Tür. Die Männer kamen schnell dahinter, dass sie es mit leibhaftigen Mönchen und Arbeitern und nicht mit Erscheinungen oder Geistern zu tun hatten, und traten vor die Hütte, um sich die Sache genauer anzusehen. Auch die beiden Bewaffneten traten auf den Plan. Sie schnallten sich ihre Schwerter um und starrten auf die seltsame Szenerie. Für Philip war der entscheidende Augenblick gekommen: Wie würden sich die beiden Posten verhalten?
Der Anblick der kräftigen, bärtigen und ungepflegten Männer mit ihren an Kettengürteln hängenden Schwertern und Dolchen und schweren Lederwämsen beschwor eine leidvolle Erinnerung herauf: Unwillkürlich musste Philip an die beiden Soldaten denken, die sein Elternhaus überfallen und Vater und Mutter umgebracht hatten. Plötzlich und unerwartet überkam ihn eine tiefe Trauer um die Eltern, an die er sich kaum erinnern konnte. Und während er voller Abscheu auf Graf Percys Aufseher schaute, verwandelten sie sich plötzlich in einen hässlichen Mann mit einer Hakennase und einen anderen mit blutverschmiertem Bart. Wut und Verachtung erfüllten ihn und eine wilde Entschlossenheit, dass solchen blindwütigen, gottlosen Rohlingen das Handwerk gelegt werden musste.
Eine Zeit lang verhielten sie sich still. Inzwischen waren sämtliche Steinbrecher des Grafen vor die Hütte getreten. Es waren insgesamt zwölf Arbeiter; hinzu kamen die beiden Bewaffneten.
Die Sonne schickte ihre Strahlen über den Horizont.
Die Steinbrecher aus Kingsbridge hatten bereits die ersten Steine gelockert. Wenn die Wachen sie an der Arbeit hindern wollten, mussten sie zunächst die Mönche vertreiben, die die Arbeiter schützend umringten. Philip hatte darauf gesetzt, dass sie es nicht wagen würden, sich an
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