Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
unverhohlene Grausamkeit, die sich hinter der kühlen, berechnenden Fassade des Bischofs verbarg.
William wandte sich wieder praktischen Erwägungen zu. »Alles in allem dürften es dreißig Steinbrecher sein, einige mit Frau und Kindern«, sagte er.
»Ja, und?«
»Es könnte ein Blutvergießen geben.«
Waleran hob die schwarzen Augenbrauen. »Tatsächlich?«, meinte er. »Nun, dann werde ich Euch eben Absolution erteilen müssen.«
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In der Nacht brachen sie auf, denn sie wollten ihr Ziel im Morgengrauen erreichen. Die brennenden Fackeln, die sie mitführten, ließen ihre Pferde scheuen. Außer Walter und den vier Rittern nahm William noch sechs Bewaffnete mit. Die Nachhut bildete ein Dutzend Bauern, die den Graben ausheben und den Zaun errichten sollten.
William war ein entschiedener Verfechter generalstabsmäßiger Planung – und daher samt seinen Mannen auch so nützlich für König Stephan –, doch diesmal hatte er ausnahmsweise keinen Schlachtplan. Sein Vorhaben war derart banal, dass er jegliche Vorbereitung, die auch nur entfernt an eine echte Schlacht denken ließ, als unter seiner Würde empfand. Ein paar Steinklopfer mit ihren Angehörigen hatten ihm nicht viel entgegenzusetzen; und ihr Anführer – hieß er Otto? Ja, richtig, Otto Blackface – hatte sich damals, als Tom Builder erstmals mit seinen Männern zum Steinbruch kam, ohnehin geweigert zu kämpfen.
Ein empfindlich kühler Dezembermorgen brach an, und der Nebel hing in Fetzen von den Bäumen wie armer Leute Wäsche. William mochte diese Jahreszeit nicht: Morgens war es kalt, abends früh dunkel und in der Burg stets feucht; zu oft bekam man gepökeltes Fleisch und gesalzenen Fisch vorgesetzt. Mutter war schlechter Laune, das Gesinde mürrisch, und seine Ritter wurden streitsüchtig. Dieses kleine Gefecht würde ihnen guttun. Ihm selbst übrigens auch: Er hatte bereits alles in die Wege geleitet, um von den Juden in London zweihundert Pfund auf den Steinbruch zu leihen. Noch bevor dieser Tag zur Neige ginge, hatte er für die Zukunft ausgesorgt.
Sie waren noch etwa eine Meile vom Steinbruch entfernt, als William anhielt und zwei Männer bestimmte, die er zu Fuß vorausschickte. »Ihr müsst damit rechnen, auf einen Wachposten oder auf Hunde zu stoßen«, schärfte er ihnen ein. »Haltet Pfeil und Bogen schussbereit.«
Kurz darauf beschrieb die Straße einen Bogen nach links und endete abrupt vor dem steilen Abhang eines verstümmelten Hügels. Dies war der Steinbruch. Nichts regte sich. Am Straßenrand hielten Williams Männer einen verängstigten Jungen fest – wahrscheinlich ein Lehrling, der Wache geschoben hatte –, zu dessen Füßen ein Hund mit einem Pfeil im Genick verblutete.
Das Überfallkommando schloss zur Vorhut auf, ohne noch besonders auf Lautlosigkeit zu achten. William zügelte sein Pferd und sah sich um. Ein Großteil des Hügels war seit seinem letzten Besuch verschwunden. Hügelauf reihte sich Gerüst an Gerüst bis in die entlegensten Ecken und hinab in eine tiefe, am Fuß des Hügels ausgehobene Grube. Unweit der Straße stapelten sich Steinquader unterschiedlicher Größe und Form, daneben standen, beladen und abfahrbereit, zwei robuste Holzkarren mit riesigen Rädern.
Weit und breit war alles mit grauem Staub überzogen, selbst Büsche und Bäume. Ein großes Stück Wald war gerodet worden – Mein Wald, dachte William erbittert –, und es gab zehn oder zwölf Holzhäuser, manche mit Gemüsegärtchen und eins sogar mit einem Schweinekoben. Es war ein richtiges kleines Dorf.
Der Wachposten hatte wahrscheinlich geschlafen – und sein Hund ebenfalls. William wandte sich ihm zu. »Wie viele Männer gibt es hier, Bursche?«
Der Junge sah ihm furchtsam, doch beherzt ins Gesicht. »Ihr seid Lord William, nicht wahr?«
»Beantworte meine Frage, Junge, sonst nehme ich dieses Schwert und mach dich einen Kopf kürzer!«
Er erbleichte vor Angst, erwiderte aber tapfer mit etwas zittriger Stimme: »Wollt Ihr etwa versuchen, Prior Philip diesen Steinbruch zu stehlen?«
Was ist nur los mit mir, dachte William. Ich kann ja nicht mal mehr einem halben Kind Angst einjagen, das noch feucht hinter den Ohren ist! Wieso glauben die Leute eigentlich, sie könnten mir trotzen? »Dieser Steinbruch gehört mir!«, fauchte er. »Prior Philip kannst du vergessen – der kann dir jetzt auch nicht helfen. Wie viele Männer?«
Statt zu antworten, warf der Junge den Kopf in den Nacken und schrie lauthals: »Hilfe! Nehmt
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